Milošević saniert Belgrad

Brüsseler Geberkonferenz beschließt Finanzhilfe in Milliardenhöhe. Bundesrepublik Jugoslawien steht vor dem Zusammenbruch. Nächste Woche soll der Prozess gegen den Exdiktator beginnen

BELGRAD/DEN HAAG rtr/afp/ap/taz Die überstürzte Auslieferung des ehemaligen jugoslawischen Staatspräsidenten Slobodan Milošević an das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag hat sich für Belgrad offenbar bezahlt gemacht: Eine internationale Geberkonferenz stellte gestern in Brüssel umgerechnet rund drei Milliarden Mark in Aussicht. Die EU-Kommission sagte rund eine Milliarde Mark als Hilfen und Kredite zu. Deutschland hat 153 Millionen Mark in Aussicht gestellt, die USA rund 415 Millionen Mark und damit 175 Millionen mehr als angekündigt. Von der Weltbank und der Europäischen Bank für Wiederaufbau (EBRD) werden Angaben von Diplomaten zufolge insgesamt 2,3 Milliarden Mark erwartet.

Doch die Reise von Milošević mit einem One-Way-Ticket nach Den Haag beschert Belgrad nicht nur den dringend benötigten Geldsegen, sondern auch eine handfeste Regierungskrise. Gestern erklärte die Partei des jugoslawischen Präsidenten Vojislav Koštunica ihren Austritt aus dem Reformbündnis DOS. Sie werde die DOS-Fraktionen im jugoslawischen und im serbischen Parlament verlassen, erklärten Sprecher der Demokratischen Partei in Belgrad. Außerdem verlangt die Partei Umbildungen beider Regierungen. Nach Angaben von Parteifunktionären bedeutet dies aber nicht den völligen Bruch der Partei mit dem Bündnis DOS. Koštunica hatte die Entscheidung am Donnerstagabend als illegal und verfassungswidrig bezeichnet.

Als Erste zogen Vertreter der jugoslawischen Bundesregierung Konsequenzen. So traten die Minister der montenegrinischen Sozialistischen Volkspartei (SNP) zurück. Auch sie erklärten die Auslieferung von Milošević für illegal und nicht verfassungsgemäß. Der jugoslawische Ministerpräsident Zoran Žižić von der SNP trat dann gestern Nachmittag ebenfalls zurück. Dieser Rücktritt bedeutet automatisch den Fall der gesamten jugoslawischen Koalitionsregierung. Sein Rücktritt bedrohe zwar nicht den Fortbestand Jugoslawiens, aber das Land befinde sich in einer Vorstufe zum Zerfall, erklärte Žižić. Die SNP-Politiker hatten vor ihrer Entscheidung eine Kabinettssitzung boykottiert und sich in der montenegrinischen Hauptstadt Podgorica getroffen.

Demgegenüber verteidigte der serbische Regierungschef Zoran Djindjić die Aktion, jede andere Entscheidung hätte das Land in die Katastrophe geführt. „Wir wären auf Bundes- und Landesebene in eine Krise geraten und hätten uns international isoliert“, sagte er. Milošević-Anhänger kündigten für gestern Abend weitere Demonstrationen an.

Unterdessen wurde Milošević nach einer ersten Nacht mit zelleneigener Dusche, Kaffeemaschine, Fernsehen und Radio im Nobelknast in Scheveningen gestern medizinisch untersucht. Es gebe keine Anzeichen für Gesundheitsprobleme, sagte ein Sprecher. Im Belgrader Zentralgefängnis war der 59-Jährige wegen Depressionen und Bluthochdruck behandelt worden.

Anfang kommender Woche soll er erstmals vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag erscheinen. Milošević werde „Montag oder Dienstag“ angehört, sagte die Chefanklägerin Carla Del Ponte in einem Interview mit der italienischen Tageszeitung La Repubblica. Nach der Anhörung werde sie mit Milošević die Abfolge der Verhöre festlegen. Milošević soll zudem wegen Kriegsverbrechen in Kroatien und Bosnien angeklagt werden, wie der stellvertretende Ankläger des Tribunals, Graham Blewitt, sagte. Bislang ist er nur wegen seiner Rolle im Kosovokrieg angeklagt.

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