Zu Türken gestempelt

■ Ausländerbehörde will die staatenlose Familie Chaabo abschieben / Verwaltungsgericht stoppte Verwaltungsakt

Mirejam Chaabo ist 13 Jahre alt, geboren in Beirut, in der Nähe der palästinensischen Flüchtlingslager. Als sie ein Jahr alt war, flüchteten die Eltern nach Deutschland. Seit vier Jahren droht ihr nun die Abschiebung - aber nicht in den Libanon, sondern in die Türkei.

Zuhause wird in der Familie Chaabo arabisch gesprochen oder deutsch. Türkisch? „Ich verstehe nur ein paar Schimpfwörter, die mir ein Schüler aus meiner Klasse beigebracht hat“, sagt Mirejam. Selbst der Vater, dessen erste Frau eine Türkin war, kann sich auf türkisch nur mühsam verständigen. Von ihm abgesehen, war niemand aus der neunköpfigen Familie jemals in der Türkei. Das Land, in das sie abgeschoben werden sollen, ist ihnen fremd, fremder als Deutschland.

Mirejam geht in die sechste Klasse am Schulzentrum Helgolander Straße. Ihre Lieblingsfächer? „Mathe“, sagt sie, und Deutsch. In Mathe hat sie sogar eine Eins geschrieben, ein Mal. Sie spricht deutsch praktisch ohne Akzent. Ihr Arabisch dagegen, sagt die Mutter, klingt nicht ganz astrein. Beirut, ihren Geburts-Ort, würde das Mädchen schon gerne mal sehen. Aus Neugier. Die Mutter sagt, das sei ihre Heimat. Und wenn die Kinder einmal groß sind, dann will sie wieder dorthin zurück. Wenn dann nicht wieder Krieg ist in den Straßen der Stadt. „Die Polizei gibt keine Ruhe“, sagt die Mutter. Wie soll sie sich dort zuhause fühlen?

Seitdem die ältere Schwester nicht mehr im Hause ist, muss Mirejam oft die Interessen der Familie gegenüber den Behörden der Stadt, in der die Chaabos leben wollen, formulieren. Der Vater hat 1998 in Walle einen Laden für „Libanesische Lebensmittel“ aufgemacht, die Mutter hatte bei Kellogg als Reinigungshilfe gearbeitet, bis ihr die deutschen Behörden die Ar-beitserlaubnis entzogen. Die ältere Schwester würde gern eine Lehrstelle annehmen, wenn sie denn eine Arbeitserlaubnis bekäme. Der älteste Sohn Mohammed, der wie die gesamte Familie seit zwölf Jahren in Deutschland lebt, hat demnächst seine Ausbildung in einer staatlichen Einrichtung beendet - und wird arbeitslos sein, weil er keine Arbeitserlaubnis bekommt.

Von der Ausländerbehörde kam am 24. April die Aufforderung, die Familie Chaabo solle die Stadt bis zum 7. Mai verlassen - innerhalb von zwei Wochen genau. Das hätte bedeutet, den Laden aufzugeben, die Kinder aus der Schule zu nehmen, auszureisen in ein Land, dessen Sprache die Familie nicht spricht. Das Verwaltungsgericht hat am 12. Juni per einstweiliger Anordnung diese Abschiebungs-Anordnung gestoppt.

In der Begründung der Ausländerbehörde dafür, dass es sich bei der Familie in Wahrheit um Türken handele, seien der deutschen Behörde „Ungereimtheiten“ unterlaufen, sagten die Verwaltungsrichter. Der Fall liege auch deutlich anders als bei den Familien, die aus dem Libanon gekommen waren und bei ihrer Ankunft zunächst erklärt hatten, sie seien türkischer Nationalität. Die Vorfahren der Familie Chaabo, sagt die Mutter, kommen aus dem Jemen, aber nachweisen lässt sich das nicht. Zur Schule gegangen ist die Generation der Eltern nicht, die staatlichen Grenzen haben eigentlich für die Identität keine besondere Rolle gespielt.

Die Bremer Ausländerbehörde hat sogar Interpol eingeschaltet, um die Nationalität der Chaabos zu klären. Das Ergebnis: einige der Kinder wurden in türkische Melderegister eingetragen - aber offenbar von anderen, möglicherweise von den Eltern der ersten Frau. So ist die Schwester von Mirejam, Nadja, am 4.5.1990 in Schwelm geboren gemeldet worden. Dasselbe Kind steht in den türkischen Personenregistern als am 1.1.1989 in Savur/Türkei geboren.

Die Ausländerbehörde sieht in dem Eintrag einen Hinweis auf türkische Nationalität. Die deutschen Behörden interessieren sich nun mal mehr für Stempel als für Menschen. Wenn die Ausländerbehörde sich nur einmal ernsthaft mit der Familie Chaabo beschäftigt hätte, dann wäre zumindest eines klar: Um Türken handelt es sich bei ihnen auf keinen Fall. K.W.