Windmühlen des Lebens

Das schlafende fahrende Rittertum in der Endlosschleife der Berliner U-Bahn: Das Theater des Lachens zeigt seine Version des Don Quixote in den Sophiensälen

Don Quixote – wer ist das? Würde er heute von sich behaupten: „Ich bin ein Berliner?“ Einer, der seine Irrfahrten mit der U-Bahn erledigt – ein heimatloser Geisterfahrer, festgesetzt in der Endlosschleife zwischen Rathaus Steglitz und Osloer Straße? Vielleicht. Er könnte mit seiner Familie in der Dreiraumwohnung siedeln und sich aus dem proletarischen Umfeld wegträumen. Seine Geschwister hießen Christa und Peter, und die Mutter würde sagen: „Kannste och watt uffsagen, dann hatt se sich wenigstens jelohnt, die Schulspeisung.“

Das ist eine Variante, dargeboten vom Theater des Lachens. Die Gruppe, gegründet in Frankfurt (Oder) und heute heimisch in Berlin, erzählt keine Geschichten – sie sucht sie. Die Schauspieler festigen sich nicht in einer Figur, sie fragen nach ihr. Also: Don Quixote de la Mancha, aufgebrochen, vervielfältigt in fünf Darstellern. Du bist Don Quixote und ich auch. Jeder ist der Ritter von der traurigen Gestalt. Was für ein wunderbarer Held! Zerbrechlich und unantastbar, enttäuscht und entrückt, wohl ein Revolutionär, besser: ein Visionär.

Hier quatscht er immer wieder russisch, übt sich im sächsischen Zungenschlag und singt spanische Freiheitslieder. Welche Utopie ließe sich da nicht abarbeiten! Schließlich ist er ausgefahren, das schlafende fahrende Rittertum wieder zu beleben.

Die Spielfläche ist, wohl um böse Geister zu bannen, mit Kreuzzeichen gerahmt, und lauter echte Ritter suchen da, im Halbdunkel schleichend, nach dem lauernden Feind: Sie tragen silberne Schüsselchen auf dem Kopf, Cowboystiefel und kniekurze Röckchen, grellbunte Tangahöschen blitzen darunter hervor. In immer neuen Formationen sind sie dem Quixote auf der Spur, aber der macht sich gern wieder aus dem Staub. Ihr gestenreiches Theater sieht aus, als entstünde es im Augenblick aus der spontanen Imagination. Körper und Vorstellung organisieren sich zu einem ursprünglichen Spiel ohne Hilfsmittel.

Das Theater des Lachens agiert wie eine Gruppe fantasiebegabter Kinder. Immer wieder wird neu festgelegt: Wer stellt was dar? Die Rollenzuordnung kann auch mal so aussehen: Du kriegst das Mittelalter, und ich nehme die Völkerwanderung, und sofort rennt die Völkerwanderung auf dem Bühnenrechteck hin und her.

Alle gemeinsam spielen sie „Ich sehe was, was du nicht siehst“. Viele, viele Golddukaten, die schönste aller Frauen – Dulcinea del Toboso, die Staubwolken der Ritterheere, in die Schlacht ziehend: alles nur sichtbar im Unsichtbaren. Schattenkämpfe werden in Comicmanier ausgetragen: „Ich befreie dich!“, ruft Don Quixote, und pfing, zong, zisch wird die Sache erledigt. Anything goes. Frei assoziierend diffundieren die Darsteller durch die verschiedenen Quixotes und verlieren ihn schließlich irgendwo zwischen dem russisch föderativen Museum für Kunstgeschichte und dem Alex.

Regisseurin Astrid Griesbach löst den Helden von seiner Geschichte, aber in dieser Freisetzung wird die Figur zum Spielball. Er gewinnt nicht an Kontur, sondern verflüchtigt sich zusehends. Zu sehen ist ein Kaleidoskop bunter Wimmelbildchen, zu immer neuen Anordnungen verdreht.

Auf der Suche nach der sagenhaften Figur hat die Theatergruppe eine Kreisbewegung vollzogen, und dass sie es geahnt hat, belegt der am Ende erzählte Witz: „Wohin gehst du? – Ins Kino. – Was gibt’s da? – ‚Quo Vadis‘. – Was heißt das? – Wohin gehst du?“ Also gehen wir mal ins Kino. Vielleicht treffen wir da Don Quixote. REGINE BRUCKMANN

Vorstellungen am 1., 4. und 8. Juli ab 21 Uhr in den Sopiensaelen