Brot für Drückeberger

Schröders neueste Waffe gegen die Arbeitslosigkeit zeigt bereits erste Wirkungen

Die Dienstleistung verfügt mit der Sklaverei über gewisse historische Wurzeln in den USA

Jonny Elvers (leider nicht verwandt oder verschwägert mit Jenny Elvers, der süßen Maus) behauptet, Deutschlands „längster Arbeitsloser“ zu sein. Mehr als 28 Jahre habe er „den Ämtern auf der Tasche gelegen“ umschreibt der 52-Jährige seine fast drei Jahrzehnte dauernde Langzeitarbeitslosigkeit, in die der gelernte Lehrer durch eine schwere Depression beziehungsweise „eine veritable Gesamtschulallergie“ (Elvers) geriet. Umso erstaunlicher, dass dieser Prototyp eines Drückebergers jetzt plötzlich in Brot und Beschäftigung steht. Noch erstaunlicher dürfte aber sein, dass es ausgerechnet ein Arbeitsamt und noch dazu das Berliner Bundesarbeitsamt höchstselbst ist, für das er seit nunmehr schon drei Wochen einer geregelten Tätigkeit nachgeht.

Elvers Dienststelle ist die eben erst auf Initiative von Bundeskanzler Schröder im Bundesarbeitsamt eingerichtete „Entwicklungsabteilung Neue Jobs“; eine Art „Tarsk Force“ (Schröder), ein „Think Tank“ (Schröder) hoch spezialisierter Arbeitsamtler, deren Aufgabe darin besteht, neue Berufe im Dienstleistungsbereich zu erfinden und auf ihre Praxistauglichkeit zu testen. Zum Chef der Abteilung beziehungsweise zu ihrem „Think-Tankwart“, so nennt er sich selbst scherzhaft, wurde Friedemann Bedürftig (38) berufen. Wie „weltweit alle Experten“ meint auch der diplomierte Berufsberater, dass „wenn überhaupt wo, nur noch in der Sparte Dienstleistung Job-Ressourcen zu finden sind.“ Bill Clintons so genanntes Jobwunder in den USA habe es schließlich gezeigt: „Von den 22 Millionen Stellen, die unter Clinton geschaffen wurden, zählte die Hälfte zum Dienstleistungsbereich.“

Anders jedoch als bei den Amerikanern, die mit Dienstleistungen viel selbstverständlicher umgingen (weil nämlich, so Bedürftig, „die Dienstleistung mit der Sklaverei über gewisse historische Wurzeln in den USA“ verfüge), sei der Servicegedanke bei den Deutschen nicht sonderlich ausgeprägt. Bedürftig sieht darin ein „übles Manko für den Standort D“, welches allerdings nicht so sehr dem mangelnden Angebot zuzuschreiben sei als eher der fehlenden Nachfrage. Obwohl es sich nämlich viele Deutsche finanziell leisten könnten, herrsche hierzulande immer noch eine weit verbreitete Scheu, Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Über die Putzfrau, den Pizzaboten oder den Gärtner hinaus, würden „jedenfalls von Privathaushalten und Kleingewerblern“ kaum Dienstleister angefordert.

Diese Haltung „aufzuweichen“, darin sieht Friedemann Bedürftig eine Hauptaufgabe für sein „Development Department New Jobs“, wie er seine Abteilung „neudeutsch“ gerne nennt. Unterstützt wird er dabei unter anderem von ebenjenem Jonny Elvers, der „als Frontschwein sozusagen“ die Jobs, die sich Bedürftig und seine Leute ausdenken, in der Praxis erprobt. Zurzeit geht’s beispielsweise um die Akzeptanz eines Services, von dem sich Bedürftig „mittelfristig 20.000 neue Stellen verspricht“: der Schlangesteher oder auch Platzhalter, „die genaue Berufsbezeichnung ist noch in der Laborphase“ (Bedürftig). Als „Testballon“ (dito) hat man eine Zeitungsanzeige geschaltet: „Kein nerviges Anstehen mehr. Zuverlässiger Platzhalter übernimmt jede Art von Warterei.“ Zwei Interessenten haben sich bereits gemeldet, und schon ist Development Assistant Elvers ausgerückt, um sich im Kundenauftrag zunächst in einer Weddinger Kantine vor der Essensausgabe und später beim Vorverkauf für ein Madonna-Konzert anzustellen.

Friedemann Bedürftig ist selbst häufig unterwegs, um im Gespräch mit potenziellen Auftraggebern deren spezielle Dienstleistungswünsche zu ergründen. Einige sehr sonderbare Ideen hätten sich ihm da allerdings offenbart. So habe einer einen Lichtausmacherservice angeregt, damit er abends nicht mehr selber raus müsse, falls das Licht im Badezimmer noch brenne. Ein anderer verlangte nach einem Wochenzeitungsleser, damit seine teuer abonnierte Wochenschrift künftig nicht mehr wie bisher ungelesen ins Altpapier wandere. Ein dritter wünschte sich gar eine Art Geldausgeber, der gelegentlich loszöge, sein Geld unters Volk zu bringen, weil er selbst vor lauter Arbeit nicht mehr dazukäme.

Doch auch folgendes musste Bedürftig „leider zur Kenntnis nehmen“, die Forderung nämlich eines mittelständischen Unternehmers, „die Arbeitslosen doch einfach umzubringen, dann sind wir das Problem endlich los“. Noch heute schäumt der Arbeitsamtler deswegen: „Wenn wir alle Arbeitslosen umbringen, verlieren ja letztendlich auch wir vom Arbeitsamt unsere Jobs. Folglich wären wir dann ja wohl die nächsten, die dran glauben müssten.“ Er erzittert merklich bei diesem Gedanken. Erst nach einer Beruhigungszigarette hat sich Friedemann Bedürftig wieder im Griff. FRITZ TIETZ