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: Nils Schumann startet nicht, erregt aber Aufsehen

Held mit Schmachtfaktor

Olympiasieger kommen nicht einfach so zu nationalen Ereignissen. Olympiasieger werden angepriesen. Und wenn sie dann kommen, stehen junge Mädchen, bestimmt über hundert, mit schmachtendem Blick und feuchten Händen Schlange und warten darauf, dass ihnen der Olympiasieger seinen Namen irgendwohin pinselt und ein paar nette Worte spricht.

Nils Schumann hat all das getan am frühen Samstagnachmittag im Schatten des Stuttgarter Gottlieb-Daimler-Stadions, sein Ausrüster aus Amerika hat sich das so gewünscht. Und so saß der Held von Sydney also dort oben auf einem kleinen Podest, und die aufgeregten Girlies bekamen sogar Gelegenheit, ein paar wichtige Fragen zu stellen: Welche Musik Nils Schumann gerne hört (deutschen HipHop), wann er angefangen hat mit dem Sport (Fußball mit sechs) oder wie oft er denn so trainiere (elf bis zwölf Mal die Woche).

Die wichtigste aller Schumann-Fragen an diesem Tag aber muss dem 800-Meter-Läufer gar nicht erst gestellt werden, die beantwortet der 23-jährige Blondschopf schon ganz von selbst: Gar nicht schön sei es für ihn hier, bei den deutschen Meisterschaften, nicht an den Start gehen zu können, aber die Heilung seines vor zwei Wochen erlittenen Muskelfaserrisses dauere eben seine Zeit, wie er erst am Donnerstag bei einer Untersuchung habe erfahren müssen, als der Muskel bei einem ersten Test doch noch etwas zwickte.

Und selbst ins Schwäbische hat der Erfurter, so erzählt er, seine Spikes mitgebracht – vergebens: Auch ein Test am Samstagmorgen habe nicht das erhoffte grüne Licht für die Meisterschaften gebracht. „Ich musste absagen, um die Teilnahme an der WM nicht zu gefährden“, erklärt Schumann seinen traurigen Entschluss, der von den Teenies mit einem ebenso traurigen Kopfnicken bestätigt wurde.

Fünf Wochen sind es noch bis zu den Welttitelkämpfen in Edmonton, was nicht eben sonderlich viel Zeit ist, um die Beine schnell zu machen und in ausreichend gute Form bringen zu können, damit in Kanada kein Debakel droht. Und kein Imageverlust. Solches will Schumann, der in dieser Saison bisher eine schon gar nicht so schlechte Zeit von 1:45,28 Minuten stehen hat, in erster Linie durch verstärktes Üben vermeiden, am besten in einem Trainingslager an einem unbekannten Ort irgendwo in Deutschland, damit nicht dauernd irgendwelche Journalisten zu Interviews vorbeikommen und die Konzentration aufs Wesentliche stören.

Dabei unterstützt wird Nils Schumann von seinem Vater und Betreuer Peter, der Ende Juli allerdings wieder als Lehrer in den Schuldienst zurückkehren und schon bei der WM nicht mit dabei sein wird. An seine Stelle könnte dann wieder Dieter Hermann treten, der Schumann als Trainer schon zum Olympiasieg geführt hatte und ihn aller Voraussicht nach auch bei der WM betreuen wird. In Deutschland am Start will sich der Olympiasieger, wenn überhaupt, nur beim ISTAF in Berlin zeigen. Ein guter Ort sei das, so findet Schumann, um endlich auch den deutschen Rekord zu brechen. Der wird seit 1983 von Willi Wülbeck gehalten und steht nach wie vor bei verdammt schnellen 1:43,65 Minuten.

„Mein Ziel, ihn zu schlagen, steht immer noch“, verrät Nils Schumann droben auf dem Podium. Und unten stehen immer noch die Teenies und schmachten den Olympiasieger an. KET