Krise abgewendet

Flamen und Wallonen einigen sich auf eine Reform der Verfassung zu Minderheitenrechten. Unklarheiten bleiben

BRÜSSEL taz ■ Gestern hat Schweden die EU-Präsidentschafts-Stafette weitergereicht – und ein erleichterter Guy Verhofstadt konnte sie in Empfang nehmen. Gerade noch rechtzeitig hat „Baby-Blair“, wie der liberale Regierungschef genannt wird, eine Regierungskrise abgewendet. In der Nacht von Donnerstag auf Freitag hatte er bei einer Abstimmung zur Verfassungsreform mit Rücktritt gedroht. Eine hauchdünne Zweidrittelmehrheit stimmte für die Reform, rettete Verhofstadt und Belgiens Ruf als europafreundliches Land.

Der Verfassungsstreit schwelt seit Monaten. Es geht um die Rechte von Flamen und Wallonen und ein juristisches Mäntelchen für die Tatsache, dass beide Gemeinschaften immer weiter auseinander driften. Wer mehr wissen will, sei gewarnt. Er verstrickt sich in Absurditäten.

Das fängt mit dem Namen an. In der französischsprachigen wallonischen Presse heißt das Abkommen nach dem Jahrestag des Heiligen, der gerade Dienst hatte, als es ausgehandelt wurde: Saint Polycarpe. Der Mystiker eignet sich aus wallonischer Perspektive hervorragend als Namensgeber, denn die frankophonen Brüsseler Randgemeinden, die auf flämischem Gebiet liegen, sehen ihre Leidenszeit anbrechen: Die Verfassungsreform gibt der flämischen Regionalregierung Macht über die Kommunen in ihrem Hoheitsgebiet – und von dieser Fremdherrschaft erwarten die französisch sprechenden Siedler nichts Gutes.

Die Flamen nennen das Abkommen „Lambermont“, nach dem Dienstsitz des Premiers, den alle Belgier auch nach der Reform als ihren Chef anerkennen. Dass „Lambermont“ französisch klingt, nagt an den Flamen. Die Tatsache, dass sie jetzt das Geld haben und die Wallonen pleite sind, entschädigt nicht.

Die Zustimmung der frankophonen Parteien zu einer von ihrer Klientel abgelehnten Reform haben sich die Flamen erkauft. Sie werden künftig mehr in den Finanzausgleich zahlen und den maroden französischen Schulen das Überleben ermöglichen. Außerdem wollen sie die Europaratskonvention zum Schutz der Minderheiten unterzeichnen.

Die französisch sprechenden Siedler in Flandern sollten lieber nicht auf die Konvention bauen, wenn sie mit den Behörden weiter französisch verkehren wollen. Die flämische Regierung hat mitgeteilt, dass die in der Konvention verankerten Minderheitenrechte auf sie nicht anwendbar seien. In Belgien gebe es nur eine Minderheit – die 80.000 Deutschsprachigen in Ostbelgien. DANIELA WEINGÄRTNER