Frühlingsgefühle in der Fotoszene

■ Die Bremer Museen wollen das alte Fotoforum wiederbeleben. Ungefähr im Frühling 2003

„Oft ist dem Fotoforum sterbenselend gewesen, noch öfter ward es aufgeweckt, jetzt aber ist Schluss.“ So klang im Oktober 1992 der taz-Abgesang auf das Fotoforum an der Langenstraße, vormals im jetzigen Paula-Modersohn-Becker-Haus beheimatet. 186.210 Mark und 48 Pfennig Rückstände hatten den Trägerverein in den Konkurs getrieben.

Zu diesem Zeitpunkt war Wolfgang Stemmer, gewesene treibende Kraft des Forums, schon in Australien. Und die anderen an den Forums-Finanzen beteiligten BremerInnen – Kultursenatorin Helga Trüpel und Sparkassen-Chef Friedrich Rebers zum Beispiel – gaben sich gegenseitig und natürlich auch dem Fortgegangenen die Schuld – Schuld am Eingehen einer europaweit anerkannten kulturellen Institution. „Natürlich war ich manchmal ätzend“, hatte Macher Stemmer schon im Juni der taz verraten – doch das finanzielle Aus war offenbar in erster Linie nicht eingehaltenen Zusagen seitens der Stadt geschuldet.

Und Macher Stemmer war wirklich ein Macher: Unvergessen die Ausstellungen „Bilderlust“ und „3x1+1“, die Präsentation der Sammlung F. C. Gundlach, über- oder untertroffen höchstens durch den Auftritt der damals noch taufrischen Claudia Schiffer im Rahmen der Gunter-Sachs-Ausstellung. Ach.

Doch nun können Bremens Schaulustige neue Hoffnung schöpfen: Die Zeiten, in denen sie nur Umzu auf Fotogalerien trafen (etwa Gerd Schnakenwinkels „GAFF“ in Rotenburg oder Wolfgang Kleines Worpsweder Fotoinsel) sollen vorüber gehen. Kommt Wolfgang Stemmer also zurück aus fernen Gefilden, wie in der Szene immer wieder aufgeregt gemunkelt wird?

Nein, die Wiederbelebung des Fotoforums geht diesmal von den Bremer Museen aus, die im bewährten „Fünf plus“-Verbund zupacken wollen. Die Initial-Idee kommt natürlich aus den steinernen Resten des alten Fotoforums, respektive von Rainer Stamm, seit September Leiter des Paula-Modersohn-Becker-Hauses: „Es kann nicht sein, dass die großen Foto-Ereignisse Bremen in einem Radius von 200 Kilometern meiden.“

Nicht nur der Genius Loci des PMB beflügelt Stamm, auch seine berufliche Vergangenheit, in der er unter anderem als Kurator am Deutschen Zentrum für Photografie in Berlin gearbeitet hat. „Jenseits aller Sachzwänge und Vorabsprachen träume ich von einer Ausstellung, die eine fotografische Position der klassischen Avantgarde vorstellt. Gut zum Haus würde etwa eine Retrospektive von Ellen Auerbach oder Grete Stern passen.“

Neben der Idee, ein wechselndes „Fotoforum“ durch die Häuser wandern zu lasen, schwebt auch konzertiertes Gleichzeitiges durch die Planungsluft. Stamm: „Ich kann mir gut vorstellen, dass wir in zwei- oder dreijährigem Turnus ein fotographisches Großprojekt wagen.“ Natürlich muss solchen Ideen der Verweis auf Realpolitik und Bremer Verhältnisse folgen. Stamm: „Da wir immer weniger Planungssicherheit haben, wäre es frivol, Versprechungen zu machen.“

Immerhin ist schon eine zeitliche Dimension angedacht: Das Frühjahr 2003. Dann könnte von der erweiterten Fläche des Focke-Museums profitiert werden, dessen Magazin-Neubau diesen Dezember fertig wird. Auch die Sonderausstellung zur Eröffnung („Das verführte Auge – Wege in die dritte Dimension“) habe bereits sehr viel mit Fotografie zu tun, kündigt Jörn Christiansen an: „Wir zeigen die Entwicklung des perspektivischen Sehens in der Renaissance, computergestützte Dreidimensionalität – und dazwischen reichlich Fotokunst.“

Die Kunsthalle hat ebenfalls Interesse, sich zunehmend auch als Heimat von Fotografie zu profilieren. Direktor Wulf Herzogenrath: „Wir brauchen kontinuierliche Fotoausstellungen, weil Malerei und Fotografie einfach zusammen gehören. Natürlich wollen wir auch Sammler anziehen, um langfristig eigene Bestände aufzubauen.“

Sich mit „Nicht-Mitteln“ (Wulf Herzogenrath) in den aktuellen Fotodiskurs einklinken – ein ambitioniertes Unternehmen. Stamm: „Vielleicht wird das so wie mit der Langen Nacht der Museen: ein Testlauf, aus dessen großem Erfolg sich das Weitermachen ganz automatisch ergibt.“ Der Neuanfang zum Weitermachen soll mit vielen BündnispartnerInnen gewagt werden. Neben der Hochschule für Künste könnten laut Stamm auch die Kräfte des alten Fotoforums mobilisiert und einbezogen werden.

Natürlich wird das neue nicht das alte Fotoforum. Die Museen nutzen – legitimerweise – das eingeführte Label, können aber (zunächst) weder Permanenz noch Personal wie zu alten Forumszeiten bieten.

Aber, um Regional-Matador Gerd Schnakenwinkel zu Wort kommen zu lassen: „Alles ist besser als gar nichts.“ Und aus dem fernen Australien hallt Wolfgang Stemmers trotzige Prophetie von 1992 nach Bremen: „Das Fotoforum wird das alles überleben.“

Henning Bleyl