Von seiner Vergangenheit eingeholt

Der als „blonder Todesengel“ bekannte argentinische Folterer Alfredo Astiz hat sich jetzt der Justiz gestellt

Gefängniszellen sind seine Welt. Jahrelang hat der blonde Fregattenkapitän Alfredo Astiz mitgeholfen, politische Gegner der argentinischen Militärdiktatur in die Folterkammern zu bringen. Jetzt sitzt er selbst in Haft, und im Unterschied zu früher könnte es dem Mann, der nach eigenen Angaben „technisch gesehen am besten vorbereitet [ist], um jemanden umzubringen, sei es einen Politiker oder einen Journalisten“, diesmal wirklich an die Freiheit gehen. Nachdem eine argentinische Bundesrichterin am Freitag einen Haftbefehl gegen Astiz ausgestellt hatte, stellte er sich am späten Sonntagabend in Begleitung seines Anwaltes den Behörden.

Wie kaum ein anderer verkörpert Astiz die Grausamkeit der argentinischen Militärdiktatur, unter deren Herrschaft in den Jahren 1976 bis 1983 rund 30.000 Menschen „verschwanden“. Astiz’ ehemalige Arbeitsstätte, die ESMA in Buenos Aires, gilt als größtes Folterzentrum der Diktatur. Astiz erwarb sich besonderen Ruhm, als er sich 1977 als angeblicher Angehöriger eines Verschwundenen bei den „Müttern der Plaza de Mayo“ einschlich und für die Verhaftung und mutmaßliche Ermordung von zwölf MitstreiterInnen der Gruppe sorgte, darunter deren Begründerin Azucena Villaflor.

Dabei kann Astiz für den Großteil seiner Verbrechen in Argentinien nicht zur Verantwortung gezogen werden – Amnestiegesetze schützen ihn vor der Strafverfolgung. Nur ins Ausland reisen durfte er nicht, seit er 1990 in Frankreich in Abwesenheit wegen der Ermordung zweier französischer Nonnen 1977 zu lebenslanger Haft verurteilt und seither international per Haftbefehl gesucht wurde.

Von den argentinischen Amnestiegesetzen ausdrücklich ausgenommen waren die Fälle des Kindesraubes. Dabei nahmen die Militärs Frauen, die schwanger inhaftiert wurden, nach der Geburt ihre Kinder weg, brachten diese zumeist in kinderlosen Offiziersfamilien unter und ermordeten schließlich die leiblichen Eltern.

Ein italienischer Staatsanwalt und ein italienischer Richter forderten jetzt die Festnahme Astiz’ wegen der Verschleppung und des Verschwindens der italienischen Staatsbürgerin Angela María Aieta 1976 und der Eheleute Giovanni und Susana Pegoraro 1997. Letztere war bei ihrer Inhaftierung schwanger, brachte das Kind in Gefangenschaft zur Welt und wurde nach dessen Geburt vermutlich umgebracht. Die mutmaßliche Tochter wuchs bei einem Marineunteroffizier in Mar del Plata auf. Dieser, Policarpo Vázquez, verbrachte die letzten zwei Jahre in gleicher Angelegenheit in Haft, musste jedoch jetzt freigelassen werden, weil das Zeitlimit der Untersuchungshaft überschritten wurde. Astiz, so der Verdacht, der jetzt zum Haftbefehl führte, soll an der Verschleppung des Kindes direkt beteiligt gewesen sein.

Wegen seines Babygesichtes und seiner blonden Haare wurde Astiz als „blonder Todesengel“ in Argentinien bekannt. Er symbolisierte die Arroganz der straffrei ausgegangenen Militärs. Dass er ab und an bespuckt wurde oder Prügel bezog, wenn er von Passanten auf der Straße oder in einer Bar erkannt wurde, focht ihn nicht an: Noch vor drei Jahren rühmte sich Astiz in einem Interview seiner Taten und verhöhnte die Opfer der Diktatur. Dafür steckte ihn der damalige Präsident Menem persönlich ins Gefängnis – für 60 Tage.

BERND PICKERT