Künftige Wähler: SPD entdeckt Kinder

Leitantrag für den SPD-Parteitag: Das Ehegattensplitting soll umgestaltet, die Elternzeit besser bezahlt werden

BERLIN taz ■ Nicht nur an das Ehegattensplitting will sich die SPD in ihrer neuen familienpolitischen Offensive wagen. „Nachhaltige Familienpolitik“ soll das Profil der SPD für den bevorstehenden Bundestagswahlkampf aufpolieren. Schon bevor Renate Schmidt, stellvertretende Parteivorsitzende der SPD, den familienpolitischen Leitantrag für den SPD-Parteitag im November gestern vorstellte, war der Kurswechsel in Sachen Ehegattensplitting bekannt geworden: Auf eine „mittelfristige Umgestaltung“ zugunsten einer Förderung von Kindern soll die SPD sich einstellen. Ältere Ehepaare, die sich bei ihrer Finanzplanung auf den Splittingvorteil verlassen hatten, werden dabei ausgenommen. Ausdrücklich will Schmidt nicht Familien mit Kindern gegen kinderlose Ehepaare ausspielen: „Wir wollen Kinderlose nicht an den Pranger stellen“, erklärte sie. „Wir sind interessiert an der Zukunft unserer Gesellschaft und somit auch an unseren Kindern“, müsste der Konsens lauten.

Nach Ansicht der SPD soll die Familienpolitik Einzug in das Bündnis für Arbeit halten. Darüber sei man sich mit den Vertretern der Wirtschaftsverbände einig. „Es geht darum, in den Unternehmen, Firmen und Betrieben einen Mentalitätswechsel zu erreichen“, erklärte Schmidt. Dabei wolle sich die Politik nicht aus der Verantwortung ziehen. Länder und Kommunen müssten Betreuungsmöglichkeiten zur Verfügung stellen.

„Väter sollen in die Lage versetzt werden, auch Väter sein zu dürfen und nicht nur Väter zu werden“, erklärte Schmidt. Die zwei Prozent der deutschen Väter, die Elternzeit nutzen, seien größtenteils Studenten oder Arbeitslose. Nach Schmidts Vorschlag soll eine Kommission ermitteln, ob nicht das deutsche Erziehungsgeld wenigstens für ein Jahr zu einer Lohnersatzleistung nach schwedischem Vorbild ausgebaut werden kann. In Schweden, wo 34 Prozent der Väter Erziehungsurlaub nehmen, erhalten Erziehende in dieser Zeit 75 Prozent ihres bisherigen Nettolohns.

Ein paar Straßen weiter, im Reichstag, versuchte die SPD-Fraktion derweil, Unternehmen die „ökonomischen Vorteile moderner Familienpolitik“ in einer Anhörung nahe zu bringen. „Dem Argument der finanziellen Belastung müssen wir den Wind aus den Segeln nehmen“, erklärte die SPD-Abgeordnete Birgit Roth. Zu der Anhörung der SPD-Bundestagsfraktion waren Vertreter von Behörden, mittelständischer und großer Unternehmen geladen, um Beispiele familienfreundlicher Unternehmenspolitik vorzustellen, vom Betriebskindergarten über den Eltern-Kind-Arbeitsplatz bis zur Telearbeit.

Einig waren sich die Vertreter der Wirtschaft darüber, dass sich ein familienfreundliches Betriebsklima auf jeden Fall lohne. Zwar dürfe man es nicht durch die „Brille des Buchhalters“ betrachten, erklärte Peter Brozinski von der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Der Nutzen zeige sich indirekt, etwa bei der Beschaffung von Personal oder der Motivation der Mitarbeiter. Auf dem Arbeitsmarkt habe seine Kreditanstalt einen deutlichen Vorsprung. Auch die steigende Wettbewerbsfähigkeit durch engagierte Mitarbeiter spreche für sich, resümierten die Firmenvertreter. JULIA WESSELOH