Schröder spart sich neue Schulden

Kanzler: Neuverschuldung für Konjunkturprogramme kommt nicht in Frage. Entsprechende Forderungen aus den eigenen Reihen will er nicht mehr hören. Grüner Haushaltsexperte Metzger verteidigt Sparkurs und warnt vor „aktionistischen Sünden“

von LUKAS WALLRAFF

Da scheint einer an der Rolle des Giftzwergs Gefallen zu finden. Sigmar Gabriel, niedersächsischer SPD-Ministerpräsident, macht seinen Genossen schon wieder Ärger. Erst vor kurzem hatte er die rot-rote Zusammenarbeit in Berlin abgelehnt, nun kritisierte Gabriel den Sparkurs der Bundesregierung. Eine sture Fixierung auf einen ausgeglichenen Haushalt sei „Voodoo-Ökonomie“. Um die schwächelnde Konjunktur anzukurbeln, müsse „nötigenfalls auch eine etwas höhere Verschuldung in Kauf genommen werden“. Ein Vorschlag, der gestern nicht nur den Kanzler in Rage brachte.

Er habe gar nicht gewusst, dass in Niedersachsen „ein neuer Weltökonom“ geboren sei, soll Gerhard Schröder in der SPD-Präsidiumssitzung über Gabriel gespottet haben. Wie Teilnehmer berichteten, warnte der Kanzler seine Partei davor, sich in der Debatte um die Konjunktur „aufs Glatteis“ führen zu lassen. Die Regierung werde am eingeschlagenen Konsolidierungskurs unbeirrt festhalten. Wie SPD-Generalsekretär Franz Müntefering mitteilte, kam diese Feststellung Schröders „in der Sache rau, im Ton aber herzlich“. Müntefering sagte weiter: „Der Parteivorsitzende hat Forderungen nach Konjunkturprogrammen zurückgewiesen, das gilt auch für diejenigen, die sich in den eigenen Reihen so geäußert haben.“

Noch deutlicher wurde gestern der grüne Haushaltsexperte Oswald Metzger. Er halte von Gabriels Vorschlägen „nichts, wirklich gar nichts“, sagte Metzger der taz. Mit einer erhöhten Kreditaufnahme würde man nur „einer veröffentlichten Stimmung auf den Leim gehen und die Konservativen wieder ins Geschäft bringen“. Wenn man wieder dazu übergehe, Schulden zu machen, könne die Union wieder behaupten: „Rot-Grün kann nicht mit Geld umgehen.“ Die Vorschläge seien unsinnig, unnötig und kontraproduktiv: „Wir haben eine gute Chance, das Haushaltssoll zu erreichen“, sagte Metzger – aber nur „wenn man keine aktionistischen Sünden begeht“.

Der für Finanzpolitik zuständige SPD-Fraktionsvize Joachim Poß versuchte unterdessen, die Wogen zu glätten. Für ihn ist der Wirbel um die Gabriel-Vorschläge nur ein rhetorisches Problem. Er wisse nicht, „ob dieser Begriff in diesem Zusammenhang richtig ist“, sagte der SPD-Politiker über Gabriels „Voodoo“-Zitat. In der Sache lägen Gabriel und Schröder gar nicht so weit auseinander. „Eine Drosselung der Staatsausgaben wegen der etwas schwächeren Konjunktur beabsichtigt ohnehin niemand“, so Poß gestern zur taz. Die Diskussion über eine höhere Neuverschuldung in der Zukunft sei „rein hypothetisch“, da niemand wissen könne, wie sich die Konjunktur entwickeln werde. Im Moment sieht der SPD-Finanzexperte jedenfalls „keinen Anlass für einen Kurswechsel“.

Einen Streit in der SPD will Poß nicht erkennen: „Die SPD hat sich klar positioniert, nur wegen einer oder zwei Äußerungen ändert sich daran nichts.“

Nach Gabriel hatte sich gestern mit der stellvertretenden DGB-Vorsitzenden Ingrid Engelen-Kefer eine weitere SPD-Prominente zu Wort gemeldet: Wegen des rückläufigen Wachstums dürfe die Bundesregierung jetzt nicht auf „Kaputtsparen und Haushaltskonsolidierung um jeden Preis“ setzen, erklärte Engelen-Kefer.

Das seien „Begrifflichkeiten, die jenseits der Sache liegen“, erklärte Poß. Von „Kaputtsparen“ könne überhaupt keine Rede sein, schließlich betreibe die Regierung „nicht pure Sparpolitik“, sondern investiere durchaus in die Agrarwende, in die Bildung, in die Bahn und die Forschung. Eine höhere Neuverschuldung widerspreche aber der „nachhaltigen und soliden Finanzpolitik“.

Auch ein Vorziehen der für 2003 und 2005 geplanten Steuerentlastungen, wie sie der Wirtschaftsweise Bert Rürup gestern forderte, lehnt Poß ab.