Der Hecht im Bad

Der Kontakt zur Natur kann auch gruselig sein. Eine Sommergeschichte  ■ Von Kaija Kutter

Wer seine Kinder liebt, der bringt ihnen, wann immer möglich, die Natur nahe. Gibt vor, keinen Grusel vor Spinnen zu haben, und geht an diesen warmen Tagen natürlich nicht ins sterile Chlorbad, sondern zum natürlichen Badesee. Dort gibt es nicht nur Enten, dümpeln nur Wasserpflanzen, altes Laub und kleine Algen am Grund, nein, es gibt sogar echte Fische zu sehen.

Der kleine Junge zuckt zurück: „Tun die was?“ – „Quatsch, die haben selber Angst“, sagt die Mutter und zieht das Kind ins knietiefe Wasser. In den nächsten Minuten schwimmt ein Schwarm blassbrauner Jungfische immer in einem Meter Abstand vor den Badenden her. „Ein Fisch, ein Fisch. Ich seh' einen großen Fisch“, schreit ein Schulkind aufgeregt vom Steg, der den Nichtschwimmerbereich vom tiefen Wasser trennt. Der Junge hält die Arme weit auseinander: „So groß ist der.“ Mutter und Sohn werden neugierig, kommen hinzu. Was angeblich ein Fisch sein soll, ist aber nur ein algenumwuchertes Rohr. „Doch, das ist aber ein Fisch!“, beharrt der Junge. Die Sonne glitzert auf der Wasseroberfläche, der Grund ist kaum zu erkennen. „Da! Da! Ich seh ihn auch.“ Der kleine Sohn ist glücklich.

Tatsächlich, nun endeckt auch die Erwachsene das Tier. Gestreift, mit breitem Maul lauert es an dem Trenngitter zum Nichtschwimmerbereich, als wäre dies sein Reich. Zwei Mädchen kommen hinzu, werden sofort drauf gestoßen. „Ih, nein, da geh ich nicht rein!“, ruft die eine. „Der hat doch Angst vor euch“, beschwichtigt die Mutter. „Trotzdem nicht!“

Nun wäre es pädagogisch vorbildlich, selber ins dunkle Nass zu steigen. Der Fisch würde schon weichen. Doch auch die lebenserfahrene Mittdreißigerin ist mit einmal von einer leisen Panik erfasst. Fische, sind Fische wirklich ungefährlich? Der Badesee ist tief. Und wenn es dort Welse gäbe, die in tiefen Seen vorkommen und laut Lexikon bis zu fünf Meter lang werden und sogar Enten verschlingen?

Eine ältere Dame, Stammgast offenbar, schreitet ganz selbstverständlich ins Wasser und schwimmt davon. Der Fisch auch. Kommt aber wieder. „Gehen Sie mit ins Wasser, dann trauen wir uns auch“, drängelt das Mädchen. „Hm, ich weiß nicht, mir ist kalt.“ Der Fisch lauert am Gitter. Er hat gewonnen.

An der Kasse fragt die Badkundin nochmal nach. „Was sind das eigentlich für Fische, die sie da haben?“ – „Bloß ein Paar Karpfen und Hechte“, sagt die Kassiererin, „vom Anglerverein hier am See.“ „Und“, der Kundin ist die Frage peinlich, „tun die was, ich meine, könnten die gefährlich werden?“ Die Kassendame lacht: „Die haben doch viel mehr Angst vor den Menschen als umgekehrt.“ Klar, so ist es, wie konnte man das vergessen.