Die Hilfe aus dem Wurm

■ Das Institut für Chinesische Medizin wurde beehrt: Der chinesische Generalkonsul kam zu Besuch. Er überstand eine Blinddarm-OP ohne Narkose – dank Akupunktur

Die Nadel trifft die Haut am Ansatz der Nasenflügel, dehnt sie, durchsticht sie. Der Mann auf der Liege sieht aus wie ein mutiertes Marsmännchen, lächelt und erklärt: „Das tut überhaupt nicht weh.“ Lächeln, Schweigen, dann: „Zumindest meistens nicht.“ Der Mann hat Heuschnupfen und ist Patient am Institut für Chinesische Medizin, ein chinesischer Arzt setzt ihm die Akupunkturnadeln so, „dass meine Nase sofort frei ist.“

Neben dem Pollenleidenden steht ein Mann im Anzug. „In der Blütezeit bin ich auch allergisch“, sagt er, lächelt und nickt dem Gepieksten zu. Es ist der chinesische Generalkonsul, Chen Jianfu. Er hat gestern das Institut auf dem Gelände des Sankt-Jürgen-Krankenhauses besucht.

Er kam aus Hamburg zum Händeschütteln, Fragenbeantworten und Werbetrommel-Rühren für dieses Institut, das der Bremer Kreisverband des Deutschen Roten Kreuzes Anfang 1999 ins Leben gerufen hat – als sichtbares Ergebnis langjähriger Zusammenarbeit mit dem Chinesischen Roten Kreuz in Dalian und der Longhua-Universitätsklinik in Shanghai.

Konsul Chen Jianfu schwört selbst – was Wunder – auf chinesische Medizin. Wenn er erkältet sei, erzählt er, „kocht meine Frau Wasser mit Ingwer.“ Nach ein paar Ingwer-Wasser-Drinks sei der Schnupfen weg. „Aber wenn ich Fieber habe“, erzählt der Konsul weiter, „dann nehme ich westliche Medikamente. Damit es schneller geht.“ Chinesische Medizin sei vor allem für chronische Krankheiten geeignet, meint der Vertreter des Reichs der Mitte.

Und chinesische Medizin ist mitnichten „traditionelle chinesische Medizin“ oder „TCM“. Das sei ungefähr so, als hielte man in China die hiesige mittelalterliche Medizin für die des 21. Jahrhunderts, sagt DRK-Geschäftsführer Jürgen Höptner. Denn auch diese Art der Medizin werde ständig weiterentwickelt. Sie besteht in China zu kleinen Teilen aus Akupunktur und zu großen Teilen aus Arzneimitteln – in Bremen ist das Verhältnis etwa halbe-halbe.

Rund 1.700 PatientInnen haben das Institut seit seiner Gründung durchlaufen. Zwei deutsche und zwei chinesische ÄrztInnen betreuen sie. Besonders bei Kopfschmerzen oder Schmerzen des Bewegungsapparats, aber auch bei Erkrankungen der Atemwege, bei Allergien oder anderen Krankheiten kann der fernöstliche Mix aus Nadeln und Kräutern – denn daraus bestehen die chinesischen Arzneimittel vor allem – helfen.

Es gibt auch Krankheiten, da hilft er nicht: Krebs kann dazugehören. „Kann“ heißt vor allem: Es gibt keine Pauschalrezepte. Jedem Patienten werde nach ausführlicher Besprechung und Untersuchung seine persönliche Kombination zusammengestellt, erklärt Uschi Hähn, Heilpraktikerin und Instituts-Mitgründerin. Das Erstgespräch kostet 180 Mark, alle weiteren Sitzungen – in der Regel sind es zwölf – kosten etwa 110 Mark. Die gesetzlichen Krankenkassen bezuschussen je nach Kasse rund die Hälfte, die Privaten die Gesamtheit der Kosten. Nicht genug, sagt DRK-Sprecher Werner Georgi: „Die Kassen sollen mehr für uns tun. Sie sollen die Erfolge, die wir hier haben, anerkennen, und den Weg zu diesen Erfolgen möglich machen.“ Denn das Institut auf dem Krankenhausgelände sei Qualitätsgarant: „Die Zusammenarbeit von deutschen und chinesischen Ärzten hat uns vor der Gefahr esoterischer Auswüchse bewahrt.“

Was macht Akupunktur so wirksam? Die Nadeln, erklärt Uschi Hähn, wirkten auf die Meridiane. Meridiane sind „Energieleitbahnen“, ein Netz im Menschen, das physisch nicht auffindbar ist, das es aber gibt – in der chinesischen Medizin seit Jahrtausenden ausgelotet. Wenn die Meridiane gestört oder blockiert sind, sind bestimmte Regionen im Körper nicht mehr versorgt, Schmerzen können auftreten – wenn die Bahnen frei sind, können Schmerzen verschwinden. Die Nadeln, erklärt Uschi Hähn, helfen, das System wieder zu befreien. Und die Arzneimittel wirkten durch ihre Substanzen, die fast nur pflanzlich seien – aber nur fast. Hähn zählt Inhalte auf: „Wurzeln, Rinden, Samen, Blätter, Skorpion, Regenwurm, Zikadenhüllen, Hirschgeweih.“

Die Kombination von Akupunktur und Arzneien hilft vielen. Aber: „Das hat mit Glauben zu tun“, sagt der chinesische Generalkonsul über die Wirkungsweise fernöstlicher Heilmittel. „Die Chinesen glauben das sicher, weil es eine Tradition ist.“ Am Bremer Institut spricht man von „Selbstregulation“, davon, dass Kranke entdecken, wie sie ihre Beschwerden selbst angehen können, von neu entstehendem „Selbstverantwortungsgefühl“ und vom Ziel des Ganzen: die Krankheit zu „verlernen.“

Was chinesische Medizin sonst noch alles kann, das hat Generalkonsul Chen Jianfu am eigenen Leib erfahren. 1974 war's, erzählt er, als ihm der Blinddarm entfernt wurde. Ohne Narkose. Nur mit Akupunktur. Er habe keine Schmerzen gehabt. Chen Jianfu nickt und lächelt. „Ich war damals noch sehr jung.“

sgi