Postkommunistische Mythologien in Rot

■ Zweite Ausstellung der Reihe „Topographie des Gedächtnisses“: Zeitgenössische KünstlerInnen aus Polen spielen im Vegesacker Havenspeicher mit Teigklumpen, Farbwürmern und den Zeichen des neuen Nationalismus

Ein Farbformer. Männer wie Jan Buczkowski steigern statistisch gesehen den Pro-Kopf-Verbrauch von Tubenfarbe in ihrem Land um ein Vielfaches. Buczkowsi ist Künstler. Allerdings hat bei ihm Farbe nicht ihre eigentliche Bedeutung, sondern ist Material. Fingerdicke Würmer aus Farbe türmen sich auf seinen Werken, Reliefs aus horizontalen Streifen. Dabei behält jeweils eine Farbe immer die Oberhand. Gelb steht für Eifersucht, Blau für den Tod, Rot für Blut und Schmerz.

Künstler wie Krzysztof Gliszczynski schaffen „Die Mythologie des Rot“. Eine fast analytische Studie über die Zusammensetzung der Farbe. „Während meiner Reise durch Griechenland traf ich auf Schichten roter Erde, deren Urtümlichkeit mich verzauberte“, erklärt er seinen gedanklichen Anstoß zum roten Zyklus. Gliszczynski spielt mit der Farbe, startet Versuchsreihen mit verschiedenen Untergrundmaterialien. Er vermischt die Farbpigmente mit Asche und beobachtet den Grad der Verblassung. Dabei ist Rot nicht einfach eine Farbe wie jede andere. Kunsthistoriker Thomas Schmidt aus Berlin sieht in der Farbe Rot emotionale Spannung, erinnert sie doch an das sozialistische Polen.

„Hallo, ich bin der Bremer Bürgermeister.“ Auch Henning Scherf war da, als die insgesamt neun polnischen Künstler im Vegesacker Havenspeicher ihre Ausstellung im Rahmen der Reihe „Topographie des Gedächtnisses“ eröffneten. Auf Händeschüttel-Tour.

Eine „doppelte Chance“ sieht Kunsthistoriker Schmidt in der Ausstellung. Einerseits könnten die Werke junger KünstlerInnen der Gegenwart, andererseits „die aktuelle Kunst unserer Nachbarn“ präsentiert werden. KünstlerInnen in Polen haben es schwer, so Schmidt. In der Vergangenheit unter dem Erwartungsdruck im Dienste der Nation stehend, kämpfen sie heute mit der Forderung gleich, aber doch anders zu sein.

Marcelina Wojciechowska definiert diese Andersartigkeit im Bezug zu ihrem Heimatland. An den unverputzten Wänden im muffigen Havenspeicher hängen ihre Plakate. Typische Figuren aus dem polnischen Alltag – der bis an die Zähne bewaffnete Polizist, die betende alte Frau – sind abgebildet. Im Hintergrund das Logo „Teraz Polska“ („Jetzt Polen“). Mit diesem Logo werden normalerweise Lebensmittel polnischer Herkunft gekennzeichnet, zwecks der Abgrenzung gegen westliche Produkte. „Der Rahmen aus Baseballschlägern ist eine Anspielung“, so Schmidt. Eine gut gemeinte Aktion zur Stärkung der Wirtschaft könne schnell in Nationalismus umgekehrt werden.

Die Installationen sind teilweise extra auf die Räumlichkeiten im Havenspeicher zugeschnitten. Miroslav Maszlankos beeindruckendes Geflecht aus Holz, Gras und Wachs schmiegt sich sanft an die alten Deckenbalken. Ein zarter Trichter, ein filigraner Tornado.

Oder Jan Gryka, der sich seit Jahren mit dem Rohstoff Mehl beschäftigt. Auf einer Fläche von rund 75 Quadratmetern hat er im zweiten Stock des Speichergebäudes ein Fadengitter gesponnen und in jedes der so entstandenen Quadrate einen Teigklumpen platziert. Tausende. In der Hocke, beim Blick von schräg oben über die Klumpenwiese offenbart sich eine expressive Landschaft aus Hügeln und Tälern.

In die Riege der Künstler, die derzeit im Havenspeicher ausstellen, gehören auch noch Anna Nawrot, Pawel Kaszczynski, Anna Rodziewicz und Marek Targonski. Noch sind diese Namen nicht leicht einprägsam. Doch das könnte sich durch die Ausstellung ändern. spo

Die Ausstellung polnischer Künstler der Gegenwart ist noch bis zum 26. August, täglich außer montags von 12 bis 18 Uhr im Havenspeicher Vegesack zu sehen.