Gut abgehangenes Comeback

Eben noch totgesagt, in Wahrheit aber quicklebendig: US-Serien werden mit satter Verspätung auch für deutsche Programmplaner wieder interessant. Und sogar die „Sopranos“ gehen ab Herbst weiter

von HARALD KELLER

Wir Deutschen sind, man muss es einmal schonungslos sagen, doch ziemlich rückständig. Zumindest, was das Angebot aktueller Fernsehserien anbelangt. Schauen wir nur einmal auf die Auslese der Cologne Conference, deren Auswahlgremium, immer schwer auf dem Quivive, alljährlich im Juni zehn recht frische und als außerordentlich empfundene Produktionen des erzählenden Fernsehens aus aller Welt präsentiert. In diesem Jahr gehörte „Dark Angel“ zur Auswahl. Großartige Premiere also in Köln und stolze Ankündigung des Senders Vox, die nach Maßgabe des Pilotfilms recht gelungene Serie werde in Bälde dort zu sehen sein. Unsere niederländischen Nachbarn können da nur mitleidig lächeln: dort ist „Dark Angel“ schon seit Mai im regulären Programm.

Wahrlich kein Einzelfall. Ein Blick zurück im Zorn auf die Auswahl vergangener Jahre bringt es an den Tag: „EZ Streets“ wurde 1997 vorgestellt, von RTL gekauft, aber bis heute nicht ausgestrahlt. „The Lakes“, ein Mehrteiler von Jimmy McGovern („Für alle Fälle Fitz“), fand gar keinen Käufer. Das Nämliche gilt für „Oz“. Diese bizarre und Staunen machende Gefängnisserie mag deutschen Programm-Machern als zu sperrig erschienen sein. Nicht so in den Niederlanden – dort wurde sie zur besten Sendezeit ausgestrahlt. Schnell bei der Hand waren die Tulpenpflücker auch in Sachen „Sex in the City“, eine prominent besetzte Sitcom um eine New Yorker Sexkolumnistin (Sarah Jessica Parker) und ihre Freundinnen, die von Manhattans schönsten Neurosen zeugt und zehrt. Die Serie, in Köln 1999 aufgeführt, lagerte seither in den Regalen von Tele München, erreicht aber nun doch noch, nämlich ab Herbst via ProSieben, die deutschen Fernsehzuschauer. Machen Sie sich nichts draus, wenn Mode und Musik dann schon wieder von gestern sind; nehmen Sie’s als nostalgische Note: So war’s damals, Ende des 20. Jahrhunderts in New York ...

Drollig an der Angelegenheit ist, dass Redakteure deutscher Sender schon im vergangenen Jahr zuliefernden Produzenten signalisierten, man hätte so etwas wie „Sex in the City“ gern in Deutsch. Also ziemlich durchgeknallter New Yorker Stadtneurotismus in Hamburg oder Berlin? Münchens Bussi-Tussis statt Gesellschaftsd(r)amen der Trump-Klasse? Gute Güte.

Ende der Trödelei

Nun deutet sich aber an, dass die Trödelei langsam ein Ende hat. Der US-Hit „Roswell“ kam bei ProSieben ins Programm, noch ehe die von Dido gesungene Titelmelodie aus den Charts verschwunden war. Derselbe Sender führte auch vor, dass Kaufserien mit Erfolg in der Primetime einzusetzen sind, wenn man sie nur gut und geduldig pflegt. Damit widerlegte ProSieben die noch bis vor kurzem umlaufende Faustregel, wonach deutsche Zuschauer einheimischen Produktionen den Vorzug geben. Mit Titeln wie „Akte X“, „Emergency Room“, „Buffy – Im Bann der Dämonen“ und „Angel“ verzeichnet ProSieben zur besten Sendezeit Erfolge, wobei einige Serien zunächst am Nachmittag vorgestellt und dann in die Primetime übernommen wurden. „Wir versuchen“, so ProSieben-Geschäftsführer Nicolas Paalzow, „erfolgreiche Programmmarken aufzubauen in einem Umfeld, wo sie sich auch entwickeln können. Wir würden jetzt nicht jede erfolgreiche Nachmittagsserie in die Primetime nehmen. Auch bei den ‚Simpsons‘ hat es ja eine Weile gedauert.“

Die Häufung prominenter Kauftitel bei ProSieben steht allerdings auch in Zusammenhang mit der „Aufgabenverteilung“ innerhalb der Senderfamilie aus ProSieben, Sat.1 und Kabel 1. „Für uns ist die Entwicklung auf dem Lizenzserienmarkt nicht mehr so im Focus“, sagt Sat.1-Sprecher Dieter Zurstraßen. „ProSieben ist der Sender, der sich im Schwerpunkt auf die deutlich Jüngeren richtet, also auf die 14- bis 29-Jährigen. Sat.1 ist der Sender, der sich auf das mittlere Marktsegment konzentriert.“

Dennoch bleibt Sat.1 gut eingeführten Marken wie den „Star Trek“-Serien treu, pflegt die Gattung Science-Fiction zusätzlich mit weiteren Titeln und beginnt am 14. Juli überdies mit einem samstagnachmittäglichen Serienblock, der mit „L.A. Docs“ (mit Ken Olin, Sheryl Lee) und „Family Law“ (mit Kathleen Quinlan, Gregg Henry, Tony Danza) zwei noch halbwegs zeitgemäße und durchaus sehenswerte Titel aus der dramatischen Sparte umfasst.

Im anderen Lager, bei der RTL-Gruppe, sind Kaufserien ebenfalls fester Bestandteil der Programmplanung. Besonders erfolgreich waren am jeweiligen Sendeplatz „Xena“ und „Die wilden Siebziger!“. Zu den Neueinkäufen zählen neben der bei der Cologne Conference vorgestellten dramatischen High-School-Serie „Boston Public“ Titel wie „Die einsamen Schützen“ („The Lone Gunmen“), „Code Name: Eternity – Gefahr aus dem All“ und „Popular“. Zudem wird RTL den in Spielfilmqualität hergestellten Pilotfilm zu „Dark Angel“ ausstrahlen, während Vox die Fortsetzung übernimmt.

Keine Katze im Sack

Dass Kaufserien für die Programmplaner an Bedeutung gewonnen haben, liegt im nachweislichen Zuschauerzuspruch begründet, aber auch in einem veränderten Geschäftsgebaren. Statt wie früher en bloc, werden Serien heute wieder einzeln angeboten. Zwar wird, wie Dieter Zurstraßen ausführt, „das Einzelstück dadurch eher teuer. Aber man kauft nicht mehr so viele Katzen im Sack. Um eine Erfolgsserie zu bekommen, musste man ein Dutzend B- und C-Serien dazu kaufen.“ Obschon die zweitklassige Ware meist auf weniger attraktiven Sendeplätzen abgespult wurde, bildete sie doch einen Kostenfaktor und war dem Sender-Image eher abträglich.

Selbst das ZDF bewegt sich gegenwärtig im Trend, nachdem es entgegen ursprünglicher Meldungen weitere Folgen der US-Qualitätsserie „Die Sopranos“ erworben hat. Im Anschluss an die am 15. September beginnende Wiederholung der ersten Staffel wird die Mafia-Saga auf dem neuen Sendeplatz am späten Samstagabend fortgesetzt. Eine gute Nachricht, die dem regen Schwarz- und Tauschhandel mit eingeschmuggelten Kassetten vorerst ein Ende bereiten dürfte.