Kohl will Kohl-Akten nur für Kohl

Heute vor dem Berliner Verwaltungsgericht: Klage des Exkanzlers gegen die Herausgabe von Stasiakten prominenter Politiker. Sollte Kohl den Prozess gewinnen, haben Journalisten und Historiker nur noch einen erschwerten Zugang zu den Unterlagen

von WOLFGANG GAST

Vielleicht ist es ja das, was der Exkanzler Helmut Kohl so sehr fürchtet: Der Angerufene, heißt es auf dem Blatt mit dem Stempel „Streng geheim“, möchte der „CDU einen Betrag von 50.000 Mark als Spende überweisen“. Es ist der 10. Juli 1980, um 11.51 Uhr lässt die Staatssicherheit der DDR auf Kanal 13 das Tonband mit der Nummer 335 mitlaufen. Abgehört wird ein Telefonat von Dr. Uwe Lüthje, dem Generalbevollmächtigten des CDU-Bundesschatzmeisters Walther Leisler Kiep. Die Stasi protokolliert einen geplanten Verstoß gegen die gesetzlichen Bestimmungen zur Parteienfinanzierung.

Lüthje und Kiep gehören zu den zentralen Figuren in der Parteispendenaffäre der CDU. Ausgelöst hat sie der frühere Bundeskanzler Kohl. Der weigert sich bis heute, die Namen jener Spender zu nennen, die ihm nach seinen eigenen Angaben als Vorsitzender der CDU illegal Spenden in Millionenhöhe zukommen ließen. Das hier angeführte Abhörprotokoll entstand bei einer Überwachung des Generalbevollmächtigten Lüthje. Ähnliche Protokolle gibt es über Telefonate Kohls. Wie alle Spitzenpolitiker Westdeutschlands war er im Visier des ostdeutschen Geheimdienstes. Mehr als zehn Jahre nach dem Fall der Mauer setzt Kohl nun alle Hebel in Bewegung, damit die Informationen der Stasi über ihn unter Verschluss bleiben. Er klagt gegen die Herausgabe der ihn betreffenden Stasiakten.

Vor dem Berliner Verwaltungsgericht kommt es deshalb heute zur Gerichtsverhandlung. Möglicherweise fällt eine Entscheidung noch am Nachmittag. Das Verfahren ist von grundsätzlicher Bedeutung. Die Klage richtet sich gegen einen Kernbereich der Stasiaktenbehörde, die Abteilung „Bildung und Forschung“. Setzt sich der frühere CDU-Chef durch, werden die archivierten Stasiunterlagen für die Geschichtswissenschaft und die Medien weitgehend versiegelt. Folgen die Richter der Auffassung von Marianne Birthler, der Präsidentin der Stasiaktenbehörde, dann bleiben die Akten, die auch unangenehme Angaben über prominente Politiker enthalten, Journalisten und Historikern weiterhin zugänglich.

Seit Kohl sich gegen die Freigabe der Akten wehrt, tobt der Streit um den Umgang mit den Stasiakten. Mit der Verabschiedung des Stasiunterlagengesetzes im Dezember 1991 beschloss der Bundestag fraktionsübergreifend, dass Informationen über so genannte „Personen der Zeitgeschichte in Ausübung ihres Amtes“ für die Forschung zugänglich sein müssen. Das Gesetz wurde damals von Kohl begrüßt. Heute jedoch sieht sich der frühere Kanzler in seinen persönlichen Rechten verletzt. Die Akten seien illegal unter schwer wiegender Verletzung der Menschenwürde zu Stande gekommen, argumentieren seine Anwälte. Marianne Birthler betont dagegen, dass Daten über Personen der Zeitgeschichte zugänglich bleiben müssen. Ansonsten könnten Strukturen und Arbeitsweise des einstigen Ministeriums von Armeegeneral Erich Mielke nicht aufgeklärt werden. Die Abwägung zwischen Persönlichkeitsschutz und öffentlichem Interesse dürfe nicht zu einem absoluten Vorrang des Persönlichkeitsschutzes führen.

Birthler kam den Bedenken dennoch ein Stück entgegen und legte eine neue Richtlinie zur Aktenherausgabe vor. Um die Interessen von Personen wie Helmut Kohl besser zu wahren, wird den Betroffenen seit März dieses Jahres die Möglichkeit gegeben, die Akten als Erste einzusehen und vor einer Herausgabe eine Stellungnahme dazu abzugeben. Auch Helmut Kohl hat zwischenzeitlich seine Akten gesichtet. Einen Kommentar gab er dazu nicht ab, an der Klage hielt er aber fest.          portrait SEITE 12