„Mauer nicht entschuldbar“

Egon Bahr, der Erfinder der deutschen Ostpolitik, hält die Mauer-Erklärung der PDS für glaubwürdig. Die Partei habe den Bau der Mauer, für den das grüne Licht aus Moskau kam, klar verurteilt

taz: Halten Sie die Mauer-Erklärung der PDS für ausreichend?

Egon Bahr: Ja.

Warum?

Warum nicht? Die PDS hat sich vom Bau der Mauer distanziert. Sie bedauert die Toten und das Schicksal anderer Opfer. Und sie bezeichnet einen Staat, der seine Menschen einmauert, als undemokratisch. Das kann man nur begrüßen.

Ist das Bedauern der PDS in Ihren Augen glaubwürdig?

Ja. Aber vor allem ist es nötig gewesen. Die PDS muss ein Bauwerk, das zu so vielen menschlichen Tragödien geführt hat, klar verurteilen. Das hat sie getan.

Viele werfen der PDS vor, sie habe nicht den Mut, sich bei den Opfern der Mauer zu entschuldigen. Halten Sie den Vorwurf für berechtigt?

Der Bau der Mauer und deren tragische Folgen sind überhaupt nicht entschuldbar. Ich denke da an das ungleich größere Verbrechen in der deutschen Geschichte, an das Dritte Reich. Theodor Heuss, der erste deutsche Bundespräsident, hat eine kollektive Schuld der Deutschen für den Faschismus abgelehnt. Er sprach stattdessen von der kollektiven Scham. Bis heute hat sich niemand für Hitler und das Dritte Reich entschuldigt. Das geht auch gar nicht.

Der PDS wird vorgehalten, ihr Bedauern über die Toten an der Mauer sei taktisch bedingt. Sie tue das nur, um sich ihren Weg an die Macht nicht zu verbauen. Wirkliche Scham empfinde die Partei aber nicht.

Das sollte die PDS aber. Sie hat allen Grund dazu. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob – in Anlehnung an Theodor Heuss – eine Partei als Ganzes Scham empfinden kann. Vielleicht ist das doch nur ein sehr persönlicher Vorgang.

Aber viele der alten Genossen in der PDS empfinden diese persönliche Scham nicht. Sie sind sogar noch stolz auf die Mauer.

Und auf diese Menschen, die noch am alten System hängen und sich von ihrer Geschichte nicht verabschieden wollen, muss die PDS aus innerparteilichen Gründen Rücksicht nehmen. Aber bis zu einem gewissen Grade ist das zu verstehen. Man kann vor seiner Geschichte nicht weglaufen.

Tun das aber nicht genau die Kräfte in der PDS, die die Verantwortung für den Bau der Mauer allein auf Moskau und Washington schieben wollen?

Man muss schon bei der geschichtlichen Wahrheit bleiben. Wir haben früher immer gesagt: Die DDR war ein Satellit Moskaus. Und das soll heute nicht mehr stimmen? Der Westen macht sich etwas vor, wenn er plötzlich behauptet, die DDR war souverän und hätte den Bau der Mauer verhindern können. Das ist Quatsch.

Heute behauptet dagegen die PDS, die DDR sei ein Satellit Moskaus gewesen. Dabei hat die SED früher immer Wert darauf gelegt, dass die DDR ein souveräner Staat war.

Das ist genauso verrückt. Dabei ist die Schuld der SED, zum Teil sowjetischer als die Sowjets gewesen zu sein, unbestreitbar. Vor dieser Schuld kann die PDS nicht weglaufen. Dafür muss sie die Verantwortung übernehmen.

Trotzdem sagen Sie, dass die SED nicht für den Bau der Mauer verantwortlich ist?

Es ist überhaupt nicht zu bestreiten, dass das grüne Licht zum Bau der Mauer aus Moskau kam. Diese sowjetische Entscheidung war Ausdruck des Zurückweichens von Chrustschow. Er konnte sein eigentliches Ziel, die Westmächte aus Berlin zu vertreiben, nicht erreichen. Diese Sicht der Dinge haben wir damals in Berlin von Kennedy gelernt. Er schrieb das wörtlich in einem Brief an Willy Brandt. Zuerst haben wir das nicht geglaubt, aber dann haben wir gemerkt: Das stimmt, Kennedy hat Recht.

Ulbricht trifft also keine Schuld?

Selbst wenn er gewollt hätte – die Mauer konnte er nicht verhindern. Die DDR ist ein einziges Mal in ihrer Geschichte souverän gewesen. Sie hat, ohne die Sowjets zu fragen, die Mauer beseitigt. Und das war dann auch gleichbedeutend mit dem Ende der DDR. Das ist der Beweis dafür, dass die DDR die gesellschaftliche Konkurrenz zum Westen nicht aushalten konnte.

INTERVIEW: JENS KÖNIG