„Kein Verbrecher“

Die Belgrader reagieren mit gemischten Gefühlen auf die Live-Übertragung vom Milošević-Auftritt im Haager Gerichtssaal

BELGRAD taz ■ Wie bei bedeutenden Fußballspielen waren gestern Vormittag in vielen Belgrader Cafés die Fernsehgeräte laut aufgedreht. Jedermann wollte sehen, wie sich der einst allmächtige Herrscher Serbiens in der Rolle des bekanntesten Häftlings der Welt zurechtfinden würde. Das serbische Staatsfernsehen übertrug den ersten Auftritt von Slobodan Milošević vor dem Haager UN-Tribunal für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien live.

„Unglaublich! Wer hätte gedacht, dass ich Slobodan einmal bemitleiden werde“, sagte der 30-jährige Srdjan, als Milošević etwas ungelenk und begleitet von zwei uniformierten Wächtern ins Bild tritt. Srdjan hat ein ganzes Jahrzehnt lang kaum eine Demonstration gegen den Exdiktator ausgelassen, schlug sich mit der Polizei, organisierte Studentenproteste. Es sei ein komisches Gefühl, erklärt der diplomierte Historiker: Einerseits empfinde er Genugtuung darüber, Milošević verhaftet zu sehen, andererseits lehne er das Haager Tribunal als eine „politische Machtdemonstration“ des von den USA angeführten Westens ab. Milošević gehöre in ein serbisches Gefängnis.

Eine ehemalige Baletttänzerin erinnern die in Rot gekleideten Richter des Tribunals an die „Inquisition“, ein Ingenieur kann Milošević in dem Verhandlungsraum „einfach nicht als Verbrecher betrachten“. Für den 20-jährigen Marko ist Milošević ein Held, der es den USA mit den Worten „Ich erkenne dieses Gericht nicht an“ gezeigt habe.

Nur wenige sind der Meinung, dass die Haager „Luxuszelle für den Schurken“ immer noch viel zu gut sei, dass man ihm gleich nach der Wende in Serbien den Prozess hätte machen sollen. Pragmatiker betrachten das Tribunal zwar als eine „Groteske“ des internationalen Rechts, meinen aber, dass es des Geldes wegen richtig war, Milošević auszuliefern. Auch weil das noch nicht reformierte serbische Rechtswesen einem solchen Prozess in absehbarer Zeit nicht gewachsen gewesen wäre. Fast niemand in Serbien hat aber Vertrauen in das Haager Tribunal als Rechtsinstitution.

Den jugoslawischen Sozialisten könnte nichts Besseres passieren, als dass Milošević zum Märtyrer wird. Mit den blassen Straßenprotesten konnten sie nichts erreichen, aus Holland kann Milošević aber die politische Szene in Serbien wesentlich mehr beeinflussen. Er hat auch eine „politische Verteidigung“ angedeutet, und wird sicher darauf achten, wie seine Worte in Serbien ankommen. Analytiker vor Ort sind sich einig, dass der Haager Prozess die Gegner der demokratischen Kräfte in Serbien, die Milošević dem Tribunal „verfassungswidrig“ übergeben haben, stärken wird. ANDREJ IVANJI