Jenseits von Trainingsanzügen

■ ... und Kaurismäki: Das Metropolis zeigt in diesem Monat elf neuere finnische Filme

Gerüchten zufolge wird finnischer Tango in Trainingsanzügen getanzt; nach der Definition eines Musiklexikons reduzieren sich die Tanzbewegungen auf einen schlichten Schwoftrott. Wer die Filme von Kaurismäki kennt, hat zu diesen Aussagen sofort Bilder im Kopf, die Vorstellungen über die finnische Geschmacklosigkeit, insbesondere des Haarstylings, bestärken. Hier findet sich auch die Melancholie wieder, die finnischer Tango mit seinen Moll-Klängen ausstrahlt und die sich in der volksdefinitorischen Aussage des Tango-Experten Numminen wiederholt: „Wir Finnen sind ein Moll-Volk.“ So zitiert findet sich letzterer im Metropolis-Sonderprogramm „Satumaa Suomi – Finnland Wunderland“ wieder. Er sagt es dort allerdings mit einem verschmitzten Lächeln, so dass der klassifikatorische Versuch sich in der Selbstironie aufhebt. Demzufolge wird uns die Filmreihe des Metropolis nicht mit einem wahrhaftigen Finnland, sondern mit Bildern von und aus diesem Wunderland konfrontieren.

Das junge Kino Finnlands hat in den letzten Jahren einige erfolgversprechende Filme hervorgebracht, in deren Genuss unser liebstes kommunales Kino diesen Monat versetzen wird. Erfreulicherweise betreibt es Vatermord und hat längst die Wortkargheit und die dunkelgrauen Bilder Kaurismäkis verabschiedet. Im jungen finnischen Film scheint des Öfteren die Sonne, und auffallend schöne Menschen tummeln sich auf der Bildfläche.

Bisweilen grenzt diese Schönheit an Penetranz: So in Restless, in dessen Mittelpunkt ein junger Adonis steht, der sich ohne Liebe durch Frauenbetten schläft. Während andere thematische Vorlagen wie beispielsweise Gefährliche Liebschaften diese herzerobernde Sexiness zu einer Erkundung über das moralisch Böse werden lassen, zeichnet sich in Restless die Hauptperson Ari durch eine fundamentale Gefühlstaubheit aus. Dadurch wird seine Attraktivität einzig durch körperliche Schönheit begründet, die in zahlreichen Sexszenen unermüdlich erkundet wird. Weil ihm jede andere Anziehungsquelle fehlt und auch die weiblichen Schönheiten wenig aufregend Ambivalentes und Rätselhaftes zu bieten haben, grenzt die Darstellung an eine sterile Werbeästhetik.

Im Umkehrzug versucht Bad Luck Love, eine aggressionsgeladene Kleinganovenwelt auferstehen zu lassen. Im Herzen dieser Unterwelt herrschen unkontrollierbare Gefühle: Eifersucht und Rachegefühle bestimmen den Handlungsverlauf. Die männlichen Hauptpersonen sind schmierig, tätowiert, durchtrainiert und unglaublich nikotinsüchtig. In der Eingangssequenz erobert sich eine glimmende Zigarette die Leinwand, die als stummer Fetisch die glühenden Gefühle der ProtagonistInnen gleichzeitig ausdrückt und verdrängt. Jenseits dieser Funktion ist die Sequenz aber so hinreißend gefilmt, dass man den alltäglichen Wert einer Zigarette gerne vergisst. Diese außerordentlich bezaubernde Kameraarbeit durchzieht den gesamten Film und lässt ihn zu einem ästhetischen Vergnügen werden.

Einen intellektuellen Genuss bietet hingegen Geography of Fear. Fälschlicherweise läuft dieser Film im thematischen Teilbereich „Tough Guys“, in dem an-sonsten Männerbanden ihre Heimat finden. Pelon Maantiedes Film wendet sich jedoch dem Rape-Revenge-Genre zu, in dem traditionell Frauen auf körperliche oder psychische Männergewalt mit handgreiflicher Rache reagieren. Diese Genrevorgaben werden entlang des lust- und gewaltvollen Unwesens einer Frauengang eingehalten. Gleichzeitig erweitert Maantide den Blickwinkel jedoch um eine entscheidende Analyseperspektive. Die Auswirkungen von Stadtarchitektur auf das Verhalten von Frauen wird in ihrer Verschachtelung mit gewaltförmigen Handlungsweisen von Männern erkundet. Indem eine Atmosphäre der Bedrohung hergestellt wird, schränkt Angst – so die Aussage des Films – die Bewegungsfreiheit von Frauen ein.

Da unterschiedliche Erzähl-stränge und die Macht der Bilder eingesetzt werden, um eine schwer zu erfassende feministische Analyse zu verdeutlichen, ist der Film in mehrfacher Weise handgreiflich. Gleichzeitig ist er eine Bereicherung für ein umfassendes Programm, das sich hinsichtlich seiner Qualität und Vielseitigkeit sehen lassen kann. Doro Wiese

Eröffnung mit Bad Luck Love: Fr, 20 Uhr (mit der Band Selfish Shelfish, Film läuft auch Mi, 21 Uhr); The Tough Ones: Sa, 19 Uhr + Mo, 21.15 Uhr; Geography of Fear: 12.7., 19 Uhr; Restless: Sa, 21.15 Uhr + Mi, 19 Uhr, alle Metropolis; weitere Filme siehe Programm