„Küss mich“

■ Kulturwissenschaftlerin zur Bedeutung des Kusses für die Geschlechter

Frauen schmusen gern, Männer kommen lieber zur Sache: An solchen Vorurteilen ist was dran, wie eine Befragung der Bremer Kulturwissenschaftlerin Ingelore Ebberfeld unter 514 Männern und Frauen zwischen 16 und 91 Jahren zeigt. Ergebnis: Vor die Entscheidung gestellt, würden Frauen eher auf Sex als aufs Küssen verzichten, Männer jedoch eher „das Eine“ vorziehen. Frauen knutschen nach eigenem Bekunden auch weit lieber als Männer, und der Spruch „Ein guter Kuss ist besser als ein Koitus“ findet bei ihnen mehr Anklang.

Ebberfeld hatte die gängige Behauptung überprüfen wollen, wonach Frauen das Küssen besonders im Zusammenhang mit dem Geschlechtsverkehr anders bewerten als Männer. „Das bestätigt die Studie in der Tat“, sagt die Wissenschaftlerin. Andere Antworten auf den zehnteiligen Fragebogen findet die Forscherin aber ebenso interessant. Jeder zehnte Mann antwortete nämlich auf die Frage: „Küssen Sie gerne?“ mit „Geht so“ oder „Nicht besonders“.

Vielleicht werde dem Küssen insgesamt zu viel Bedeutung beigemessen, fragte sich die 49-Jährige, und sie wurde fündig: „In Romanen oder Filmen wird beim Geschlechtsverkehr stets geküsst, doch das hat nur begrenzt mit der Realität zu tun.“ Denn jeder zehnte Befragte gab an, im Bett aufs Küssen zu verzichten.

Auf das Thema kam Ebberfeld bei einer Seminararbeit mit Studenten der Universität Bremen. Anfangs war es dabei nur um Geschichte des Schmusens gegangen. Erfanden Adam und Eva das Küssen beim gemeinschaftlichen Biss in den Apfel oder waren es doch eher die Römer? Einer Überlieferung zufolge war nämlich Frauen das Weintrinken verboten, und männliche Angehörige hatten die weibliche Folgsamkeit per Kuss zu überprüfen.

Ums Küssen ranken sich viele hübsche Geschichten, weiß Ebberfeld, die das Thema für das Buch „Küss mich“ aufgearbeitet hat, das im September erscheinen soll. Den Bremer Studenten aber reichte die graue Theorie nicht mehr aus. Am liebsten hätten sie „erfahren, was einen guten Kuss ausmacht“, und nicht, wie die Geschlechter dazu stehen. Doch in der Qualitätsfrage kam man nicht recht weiter.

„Es lassen sich einfach keine allgemein verbindlichen Kriterien dafür entwickeln“, kommentiert Eb-berfeld. Schon an der Frage, wann ein Kuss als innig oder als lieblos zu beurteilen sei, würden sich die Geister scheiden: „Das bewertet jeder anders.“ Immerhin konnten sich die Studenten darauf einigen, dass zu einem guten Kuss viel Gefühl gehört, dass er nicht zu feucht oder zu fest ausfallen darf und dass laute Geräusche stören.

Eine wissenschaftlich abgesicherte Gebrauchsanweisung für den perfekten Kuss stellt das nicht dar – als Ratgeber taugt aber auch die eigentliche Studie nach Ansicht Ebberfelds nicht. Dass Männer mehr auf die Kussbedürfnisse der Frauen eingehen sollten, will sie als Fazit der Umfrage nicht gelten lassen: „Dazu wäre eine umfassendere Arbeit nötig gewesen“, kommentiert die 49-Jährige, die auch offen lassen muss, warum denn nun Frauen lieber küssen.

Sicher ist sich Ebberfeld jedoch mit der Aussage: „Der Kuss wird in den Sexualwissenschaften bislang zu Unrecht völlig vernachlässigt.“ Wäre dies anders, „würde es helfen zu zeigen, dass Sexualität nicht nur aus Geschlechtsverkehr besteht.“ Sexualforschung werde aber „meist von Männern betrieben, und die sind offenbar zu sehr aufs Genital orientiert“.

Imke Zimmermann (AP)

Ebberfelds Studie kann im Heft 7/8 der Zeitschrift „Sexualmedizin“ nachgelesen werden.