Augen auf und durch

■ Beim Bremer Kunstförderpreis machte mit Stefan Demming ein junger Videokünstler das Rennen / Die Förderpreisausstellung ist jetzt in der Städtischen Galerie im Buntentor zu sehen

Michelangelo machte es sich noch ganz einfach. „Ich sehe die Figur im Marmorblock“, sagte der geniale Bildhauer (1475-1564), „und ich brauche nur den überflüssigen Stein um die Figur herum abzuschlagen.“ Auch zwei Jurys haben jetzt in Bremen das ihrer Ansicht nach Überflüssige abgeschlagen. Das erste, mit Bremer KunstkennerInnen besetzte Gremium dampfte die Zahl von fast 90 Einsendungen zum Bremer Förderpreis für Bildende Kunst auf 13 AusstellungsteilnehmerInnen ein. Und eine auswärtige Jury ging durch diese soeben in der Städtischen Galerie eröffnete Ausstellung und kürte aus dem guten Dutzend den jüngsten Teilnehmer Stefan Demming zum Träger des mit 15.000 Mark dotierten Förderpreises.

Gleich am Treppenaufgang im Galeriekomplex am Buntentorsteinweg ist es, als hätte ein Abrissbagger zugeschlagen. Backsteine liegen in Fensternischen, Durchbrüchen und auf dem Boden herum. Erst beim zweiten Hinsehen fällt auf, wie sauber Benjamin Lauterbauch die Steinhaufen arrangiert hat. Und beim dritten Hinsehen fällt auf, dass auf die Putzflächen alte Fotos gedruckt sind.

Diese Installation mag ein Sinnbild sein für die Trümmer, in die die Bremer Kunstproduktion aus dem weiteren Umfeld der Hochschule für Künste zerfallen ist oder aus denen etwas Neues wächst. Die jahrelang dominierende figürliche Plastik ist auf dem Rückzug, die Malerei nach Auffassung der Jurys mit Ausnahme von Elke Graalfs pointillistischen „Strickbildern“ fast überflüssig. Installationen und Fotografie dominieren, und ein Beitrag Medienkunst machte das Rennen.

Die Teilnahmevoraussetzungen wurden in den letzten Jahren immer offener und die TeilnehmerInnen im Schnitt immer jünger, sagt der Leiter der Städtischen Galerie, Hans-Joachim Manske.

So nehmen nicht nur HfK-AbsolventInnen oder anderswo ausgebildete, aber im Großraum Bremen/Bremerhaven lebende KünstlerInnen teil. Auch ein Arbeitsstipen-dium in der Region berechtigt zur Teilnahme. So hat die Bremerhaven-Stipendiatin Paloma Varga Weisz mit Erfolg ihre Arbeit „Kampf-hund“ eingereicht: Naiv wirkende Zeichnungen und die Holzskulptur eines Wesens halb Hündchen, halb Menschlein sind ihr lakonisch-irritierender Kommentar zur Kampfhunde-Verordnung. Diese Arbeit ist fast außerhalb aller Moden – dafür liegen die im Sinne Michelangelos überflüssigen Holzspäne wie eine Land-Art-Skulptur Richard Longs im Kreis um die Figur herum.

Wie ein frecher Kobold spukt Weisz' Männchen in der ansonsten durchaus einfallsreichen, aber sehr soliden Auswahl junger Bremer Kunst-Positionen. Die Fotografin Andrea Lühmann hat mit einer Serie von Blinden-Porträts teilgenommen. Ihre Kollegen Jens Weyers und Michael H. Rohde steuern Containerfotos und Hinterhofpanoramen bei. Auch Bernadette Lahmer (Makroaufnahmen von Tropfen oder Augenpaaren), Kyungwoo Chun (langzeitbelichtete Doppelporträts) und Susanne Ahner (verwischte und beschnittene Beinbilder in Polaroid-Größe) arbeiten mit Kamera und machen die Förderpreis-Schau fast zu einer Fotoausstellung.

Doch neben Installationen von Hops Bornemann (die schon beim Kyoto-Projekt gezeigte Bar), Michael Fesca (ein Foto nebst frei schwebendem Hütten-Dach aus Holz) und Yun-Hee Huh (eine Video- und Wand-Arbeit über das Zeichnen) bricht der junge Herr Preisträger mit seinen bewegten Bildern diesen Eindruck auf: Der 1973 geborene Stefan Demming erhielt den Förderpreis für sein Video „Notaki£4 (autocopy)“. Es zeigt eine Marktszene an einer Kreuzung und ist wie ein Bilderscratching aus Schnellvor- und rückläufen montiert, wobei Godfrey Reggios 1982 (!) entstandener Film „Koyaanisqatsi“ grüßen lässt. „Der offene, experimentelle Umgang mit den ästhetischen Verfahren von Musikvideos ist glaubwürdiger Ausdruck eines aktuellen Lebensgefühls“, schrieb die Jury in die Begründung. Es ist nunmal das Jurylos, für eine Entscheidung auch Argumente zu liefern. Die Dürftigkeit der Begründung lässt nicht auf einhellige Begeisterung schließen. Doch vermutlich hat die Arbeit Demmings, der noch eine weitere Videoskulptur eingereicht und für eine andere Arbeit den Marler Video-Installationspreis bekommen hat, einfach bloß den frischesten Eindruck gemacht. ck

Bis zum 5. August in der Städtischen Galerie, Buntentorsteinweg 112. Öffnungszeiten: Di+Do 10-18, Mi+Fr 10-16, So 11-16 Uhr.