In Meeres-Sedimenten lesen

■ Das neue Uni-Zentrum „Ozeanränder“ wird mit 43 Millionen Mark von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert

Der Wissenschaftler gilt als eine besonders spröde Gattung Mensch. Analyse statt Meinung, Kopf statt Bauch. Umso mehr darf der Rest der Welt Hosianna rufen, wenn die Forscherseele einmal lächelt. Tagelang gespanntes Kribbeln in den Gängen des Fachbereichs Geowissenschaften, dann endlich am Dienstag die erlösende Meldung von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Potzblitz: Die DFG stellt genau 43,2 Millionen Mark für ein funkelnagelneues Meeresforschungszentrum zur Verfügung!

80 Bewerbungen aus 56 Hochschulen in Deutschland hatte es für die Gelder aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen für die neue Handy-Generation gegeben. Doch nur Karlsruhe, Würzburg und – die Bremer erhielten den Zuschlag für eines der sogenannten „Centers of Excellence“. Das Projekt: „Ozeanränder – Schwerpunkt marin-geowissenschaftlicher Forschung im 21. Jahrhundert“

Der Bremer Meeresgeologe und zukünftige Direktor des Zentrums, der 57-jährige Gerold Wefer, ist sehr stolz: „Das macht uns schon sehr sehr zufrieden“, sagt er.

100 Geophysiker, Sedimentologen oder Mikrobiologen, darunter vier Juniorprofessoren, sollen nächstes Jahr ins neugebaute Zentrum für marine Umweltwissenschaften ziehen. Schon bald können die ersten eingestellt werden.

„Die Ozeanränder sind die Nahtstellen zwischen Kontinenten und Ozeanen“, sagt Wefer. Es geht um die nur ein paar Zehnerkilometer breiten Streifen der flachen Küstenmeere. Hier finden 90 Prozent des globalen Fischfangs statt, hier leben immerhin zwei Drittel der Menschheit, hier lagern sich Sedimente ab, die sich eines Tages in Erdöl und -gas verwandeln. Aber was tatsächlich in Wasser, Schlick und Mutt passiert, ist noch ziemlich unerforscht. In Deutschland gibt es bislang nur in Kiel ein ähnliches Institut. Aber, so Wefer: „Wir sind schon heute Weltspitze.“

Seine Leute bohren seit Jahren vor Namibia oder Chile bis zu ein Kilometer tiefe Löcher und lesen aus den Sedimenten, was und warum es sich hier seit Urzeiten abgelagert hat. „Wir finden Sand oder Mikrofossilien, aber auch 65 Millionen Jahre alte Meteoriteneinschläge“, sagt Wefer. „In diesen Sedimenten können wir blättern wie in einer Zeitung.“ So lasse sich heute ziemlich genau sagen, welche Lebensbedingungen, welches Klima dunnemals im Pazifik herrschte.

Auch beim geplanten Wilhelmshavener Tiefseehafen wollen die Marinegeologen mitmischen. „Wir sagen, wo der ganze Sand verklappt werden soll, der für das Projekt ausgebaggert wird“, erklärt Wefer.

Angst, dass alle nach Ablauf des DFG-Projekts im Jahr 2005 auf der Straße stehen, hat der neue Direktor indes nicht: „Dann stellen wir in vier Jahren eben einen neuen Antrag.“ ksc