Putzfrau gegen rechte Parolen

taz-Serie „Die Aktivisten“ (Teil 5): Irmela Schramm entfernt Nazi-Graffiti immer und überall. Und sie kämpft gegen alles Unrecht in dieser Welt

von KIRSTEN KÜPPERS

Gestern war Irmela Schramm schon wieder 21 Stunden gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit unterwegs. Um drei Uhr früh geht so ein Tag los, an dessen Ende die 56-Jährige dann immer nicht mehr weiß, wo ihr eigentlich der Kopf steht. Dabei sind diese Tage nicht selten: an denen man früh aufstehen muss, in brandenburgische Orte wie Fürstenberg fährt, dort in einem Plattenbau, der die Gesamtschule darstellt, eine Ausstellung eröffnet, sich im anschließenden Schülergespräch mit den rechten Jugendlichen herumärgert, zurück in die eigene Wohnung nach Wannsee kehrt, die drei Katzen füttert. Später ist man noch mit einer Mitstreiterin verabredet, eröffnet dort im neuen Bürgerhaus von Mahlow gleich die nächste Ausstellung, erklärt den Menschen sein Anliegen, baut spät nachts die Tafeln im Saal wieder ab und ist dann endlich zu Hause und viel zu müde, um überhaupt irgendetwas zu essen.

Dabei hat man an so einem Tag ja noch nicht mal die eigentliche Arbeit erledigt: nämlich Naziparolen von Wänden oder Hauseingängen zu entfernen. Obwohl das doch das Wichtigste ist. Nein, für eine Kämpferin gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit wie Irmela Schramm sind die Tage oft gleichzeitig zu lang und zu kurz. Schon beim Erzählen gerät sie ganz außer Atem; von all den Eindrücken und Gedanken, die im Kopf quer schießen, dazu kommen die ganzen Vorhaben, die als Papierstapel auf dem Fußboden liegen und die man dringend abschließen muss. Ja, ganz haspelig ist Schramms Stimme geworden, als sie in ihrer Dachgeschosswohnung von ihren Projekten erzählt – zugleich Jasmintee kocht und die Katzen scheucht.

Vor 15 Jahren begann dieser innere Auftrag. Das, was die Sonderschullehrerin ihre „politische Arbeit“ nennt. Damals war es ein vorlauter Rudolf-Heß-Aufkleber, der an einer Bushaltestelle klebte und der die Wut in ihr hochbrachte. Das Handeln kam erst eine Busfahrt später. „Zunächst war eine Barriere da, aber ich dachte mir, wenn du den Aufkleber jetzt nicht wegmachst, ärgerst du dich ewig weiter.“ Danach konnte Schramm indes nicht mehr aufhören mit dem Wegmachen. Wenn die gelernte Hauswirtschaftlerin und Heilpädagogin nun rechtsradikale Sprüche oder Symbole sieht, packt sie ein Azetonfläschchen aus ihrer Tasche, oft auch Spachtel oder Farbe. Bisweilen holt sie sogar die Leiter aus dem Keller. Und dann werden diese rechten Spuren vernichtet.

Geradezu kaiserinnenhaft strahlen einem Schramms Augen diese Auslöschung entgegen; sogar die Katze schnurrt; in einen schönen Triumph redet sich Frau Schramm da gerade hinein. Von den Nazi-Zeichen bleibt nur das Foto übrig, das sie vor der Tilgung gemacht hat und das sie später zu ihrer Sammlung heftet.

19 Aktenordner mit rechten Schmierereien seien schon voll, sagt sie. Und zwei dieser Mappen hat sie bereits vor einem ausgebreitet. Eine große, grässlich abstoßende Galerie ist das: Hakenkreuze auf Waschbeton, „Ausländer raus“ auf grauem Mauerwerk, „Hier marschiert der nationale Widerstand“ auf Kunststoffflächen geritzt. Mit diesen Bildern bestückt Schramm ihre Ausstellung „Hass vernichtet“, die derzeit an fünf verschiedenen Orten gleichzeitig gezeigt wird, wegen der sie seit sechs Jahren ständig Bürgerzentren, Schulen und Gemeindehäuser besucht. Das ist indes nur eine Abteilung ihres Engagements. Ein politischer Mensch von Kopf bis Fuß sei sie schon immer gewesen. Zum Kriegsende in Stuttgart geboren, habe sie zuerst durch die Erzählungen der Eltern „hassen gelernt“. Als moralische Konsequenz entwickelte Schramm ein sicheres Gespür für alles Unrecht in der Welt. Als Teenager gegen schlagende Internatslehrer, später gegen die Pershing-II-Depots in Mutlangen, das Atommülllager in Gorleben, die Menschenrechtsverletzungen in Übersee und die Ökokatastrophe weltweit. In einem Dasein, in dem die Umgebung stets im Kampf gegen gewaltige Übermächte in Bösartigkeit zu versinken droht, wird das Engagement für eine wie Irmela Schramm zur Bestimmung.

So ergab sich bald ein Alltag, in dem die Abende und Wochenenden in Amnesty-Gruppen, Umweltkreisen und bei Ostermärschen verbracht wurden. Schramm trat bei den Grünen ein – und bei deren Beschluss zum Nato-Einsatz im Kosovo wieder aus. Weiterhin wirkt sie als Mitglied zweier Friedensinitiativen mit, einer Kreuzberger Antirassismusgruppe und einem Mieterverein. Denn weil in dieser Welt täglich neue Ungerechtigkeiten hervorbrechen, muss man seine Kräfte streuen. Ihre Sandwichpappen hängt sich Schramm demnach zur Rosa-Luxemburg-Demo genauso über wie zum Marsch gegen Atomwaffenversuche oder dem Schülerprotest am Brandenburger Tor.

Wenn die persönliche Existenz von so viel Hass bestimmt wird, und sei es auch nur in dessen Abwehr, dann hat das Konsequenzen für das eigene Ich. So sieht es Irmela Schramm. Wegen all dem Negativen, das sie in sich aufsammelt, sei vor sechs Jahren der Tumor in ihrer Brust gewachsen. Hoffnungslos hätten die Ärzte ihre Lage eingeschätzt. Aber noch während der Chemotherapie habe sie im Treppenhaus der Klinik ein Hakenkreuz entfernt. Diese Getriebenheit habe sie wohl gerettet, meint Schramm. Damit könnte sie Recht haben. Trotzdem drängt sich bei den Schilderungen all dieser ehrenwerten Aktivitäten, die ihr immer weitere Magengeschwüre produzieren, wie Schramm versichert, auch der Eindruck einer nervösen Gehetztheit auf, derer sich die meisten Menschen lieber entziehen würden.

Schramm atmet tief durch. Besonders wütend ist sie ja auf die Scheinheiligkeit der Politik. Deswegen hat sie im letzten Jahr auch die Bundesverdienstmedaille wieder zurückgegeben, die ihr 1994 für ihren Einsatz gegen Fremdenfeindlichkeit verliehen wurde. Zu wenig habe der Schulsenat sie bei ihrem Ausstellungsprojekt unterstützt. Überhaupt erhalte sie von staatlicher Seite keinerlei Hilfe. Und Bundestagspräsident Wolfgang Thierse habe noch dazu abgelehnt, die Schirmherrschaft für ihre Ausstellung zu übernehmen.

Schramm ist jetzt richtig sauer. Viele Beispiele fallen ihr ein, wo sie schon behindert wurde bei ihrer Mission gegen rechte Parolen: Politiker, Lehrer, Schulleiter, Passanten, Anwohner – es scheint, als sei sie von besonders vielen Feinden umgeben. Ihnen zum Trotz hat Schramm mit bunten Stiften ein rebellisches „Nazis raus“ auf ihre Baumwolltasche gemalt. Der Schriftzug ist ein wenig verblasst, aber am liebsten würde sie damit jetzt sofort rausfahren nach Treuenbrietzen, wo sie vom Zug aus ein großes Hakenkreuz am Bahnhof gesehen hat. „Sonst macht’s ja keiner“, hat sie nicht gesagt, aber bestimmt gedacht. Denn es ist ein einsamer Kampf, den sie da führt. Trotzdem ist nun einmal so, meint Schramm, dass ihre Gedanken fast ausschließlich um dieses wichtige Projekt kreisen. Und vielleicht möchte sie ja auch deswegen nicht über ihr Privatleben reden – einfach weil sie kaum eines hat. Mit einem netten Ghanaer sei sie verheiratet, mehr erfährt man nicht.

Stattdessen zieht Schramm ihren „Friedenskalender 2001“ hervor und liest daraus der Reihe nach die bald hundert Orte vor, an denen sie mit ihrer Ausstellung schon gewesen ist. Man selbst sitzt zwischen den Hakenkreuz-Alben, blickt erschöpft auf den Satz „Alle Macht dem Weltfrieden“, den ihr ein Ausstellungsbesucher ins Gästebuch geschrieben hat, sieht wieder zu den Keramiktassen mit dem Jasmintee und hört die Gastgeberin weiterreden.