EUROPARAT UND SÜSSMUTH-KOMMISSION WIDERSPRECHEN SICH
: Ein Land, zwei Meinungen

Natürlich ist der Zeitpunkt reiner Zufall. Die von Bundesinnenminister Otto Schily eingesetzte Zuwanderungskommisssion, geleitet von Rita Süssmuth, legte gestern ihre lang erwarteten Vorschläge vor, wie Einwanderung und Integration hierzulande neu zu regeln seien. Nur einen Tag früher veröffentlichte die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (Ecri) ihren Länderbericht und beurteilte die Menschenrechtslage in Deutschland. Keineswegs zufällig ist jedoch, dass uns die beiden Berichte gegensätzliche Botschaften vermitteln.

Der Ecri-Bericht verdient Aufmerksamkeit, weil er ausgewogen, aber unzweideutig kritisiert, dass Deutschland noch immer ein gravierendes Problem hat: Ausländer werden hierzulande nicht nur durch Gesetz und Recht diskrimiert. Als vermeintlich Fremde leiden sie auch unter einem gesellschaftlichen Klima – in Ost und West –, das sichtbare Züge von Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit trägt. Wenn Innenminister Otto Schily meint, dieser Befund gehe völlig an der Wirklichkeit vorbei, braucht er nur den Bericht der Süssmuth-Kommission zu studieren, um zu erkennen, dass der Vorwurf berechtigt ist.

Nur zwei Beispiele: Die Süssmuth-Kommission empfiehlt, mehr „junge, gut ausgebildete Menschen“ nach Deutschland zu holen, doch sie weiß keinen Rat, wie die rund 40 Prozent der heutigen Einwanderer aus der zweiten und dritten Generation, die keinen Schul- und Berufsabschluss haben, wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden sollen. Sie fordert Sprachkenntnisse und Verfassungstreue von den neuen Einwanderern, doch dass beides bei vielen der hier lebenden „Ausländer“ bereits vorhanden ist und sich trotzdem nichts an ihrer Benachteiligung auf dem Wohnungs- oder Arbeitsmarkt ändert – dazu schweigt die Kommission.

Dennoch verdient auch der Süssmuth-Bericht Anerkennung, weil er endlich mit der deutschen Lebenslüge aufräumt, wir seien kein Einwanderungsland. Dieser Ansatz und die konkreten Vorschläge der Kommission nehmen tatsächlich einen Teil der Ecri-Kritik auf, aber eben nur jenen Teil, der sich mit der juristischen Dimension von Zuwanderung und Integration befasst. Die gesellschaftliche Dimension des Problems dagegen bleibt weit gehend ausgeblendet. Dazu wäre die Ausarbeitung eines nationalen Antidiskriminierungsgesetzes erforderlich – dies ist eine der Hauptforderungen des Ecri-Berichts. Die Süssmuth-Kommission äußerst sich dazu leider nicht.

CARSTEN SCHYMIK

Politologe und Mitglied der Forschungsgruppe „Nordeuropäische Politik“ an der Humboldt-Universität in Berlin