Liberalisierung scheitert

Das Europäische Parlament brachte gestern die Übernahmerichtlinie der Kommission zu Fall, die Fusionen von Unternehmen erleichtern will

BRÜSSEL taz ■ Fusionen von Unternehmen werden in Europa künftig nicht leichter sein als heute. Das Europäische Parlament brachte gestern den liberalen Richtlinien-Entwurf der Europäischen Kommission zu Fall. Damit ist die Richtlinie, an der die EU zwölf Jahre gearbeitet hat, endgültig vom Tisch, wie Parlamentspräsidentin Nicole Fontaine erläuterte.

Grundsätzlicher Streitpunkt war bis zuletzt, wie Firmenvorstände sich wehren dürfen, wenn ihr Unternehmen von der feindlichen Übernahme durch ein anderes bedroht ist. Die EU-Kommission wollte ausschließen, dass der Vorstand der angegriffenen Firma sich mit so genannten Vorratsbeschlüssen von der Aktionärsversammlung präventiv ermächtigen lassen kann, das Kapital zu erhöhen oder die Übernahme mit anderen Mitteln zu vereiteln. Die Kommission hatte die Absicht, Konzernleitungen während einer Übernahmeschlacht zur Neutralität zu verpflichten. Teile des Parlaments und auch die Bundesregierung wollten dagegen die Firmenleitung in die Lage versetzen, sich auch in Zukunft effizient zu wehren. Wenn ein Firmenvorstand sich von der Hauptversammlung erst dann Abwehrmaßnahmen genehmigen lasse dürfe, wenn das Übernahmeangebot eingegangen sei, so das Argument, sei es für wirksame Gegenmaßnahmen oft zu spät.

Die Entscheidung im Parlament fiel denkbar knapp. Bei der dritten und entscheidenden Lesung stimmten gestern 273 Abgeordnete gegen den Richtlinien-Entwurf. Ebenso viele Parlamentarier billigten den Text, 23 enthielten sich. Damit fehlte eine Stimme, denn laut Geschäftsordnung gilt eine Vorlage als abgelehnt, wenn sie in dritter Lesung keine Mehrheit bekommt.

Wie die Debatte im Straßburger Plenum zeigte, verlief der Riss zwischen Befürwortern und Gegnern des Anfang Juni zwischen Kommission und Parlament ausgehandelten Kompromisses quer durch die Fraktionen. Auch die Gründe für Zustimmung oder Ablehnung waren sehr verschieden. Während große Teile der liberalen Fraktion die neue Richtlinie als Schutzmaßnahme für Kleinaktionäre begrüßten, fürchteten die meisten Sozialisten, Arbeitnehmerrechte könnten verloren gehen.

Der zuständige Berichterstatter, der deutsche Konservative Klaus-Heiner Lehne, hatte den Parlamentskollegen empfohlen, das Ergebnis des Vermittlungsverfahrens abzulehnen. Der Rat habe sich „keinen Millimeter bewegt.“ Der Vorschlag der Kommission, eine Expertengruppe zu beauftragen, die mögliche negative Folgen beobachten solle, entbehre jeder Logik: „Zustimmung wäre eine Kapitulation der Parlamentsmehrheit vor der Position des Rates.“

Lehne kündigte an, seine ablehnende Haltung erst zu ändern, wenn der Rat die 1972 vorgelegte Richtlinie zum „Level-Playing-Field“ verabschiede. Erst wenn in allen europäischen Aktiengesellschaften der Grundsatz „Eine Aktie gleich eine Stimme“ gelte, könnten feindliche Übernahmen tatsächlich unter gleichberechtigten Ausgangsbedingungen stattfinden.

Lehne spielte damit auf die Tatsache an, dass zum Beispiel in Frankreich der Staat eine „goldene Aktie“ in einer privatisiertenGesellschaft behalten kann und damit Einspruchsmöglichkeiten hat, die in anderen Ländern nicht bestehen. Die Kommission will auch die „Goldene Aktie“ abschaffen, erlitt aber jetzt auch an diesem Punkt eine Niederlage. Der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofes billigte den Staaten am Dienstag das Recht zu, solche Regelungen auch in Zukunft beizubehalten. Das Europäische Gericht wird den liberalen Reformwünschen der Kommission deshalb wohl eine Absage erteilen.

Nach Überzeugung von Binnenmarktkommissar Frits Bolkestein kann sich die europäische Wirtschaft künftig nur dann international behaupten, wenn Manager ihre Konzerne ohne Rücksicht auf nationale Grenzen zusammenbauen dürfen.

D. WEINGÄRTNER, H. KOCH