Außenansicht

Interne Verschlingungen lösen: Das „Laokoon“-Festival auf Kampnagel versucht's  ■ Von Petra Schellen

Diese Oberflächlichkeit ist es, die sie stört. Dieses Einverleiben von Elementen jeglicher Kultur, die „letztlich nur Dekoration bleiben“, ist es, was die neue Kampnagel-Chefin Gordana Vnuk an vielen zeitgenössischen experimentellen Produktionen so abstößt. „Denn das ist keine vertikale Multikulturalität, mal ein Lied hier, mal einen afrikanischen Schauspieler da in die Produktion zu integrieren.“ Dies gleicht eher – aber das sagt sie so deutlich nicht – vielmehr einem schleichenden Gefressenwerden, einem Erdrücktwerden, das so tolerant gar nicht ist, Unverstandenes einebnet und damit unschädlich macht. „Man kann die Gesetze einer Gattung nicht beliebig auf die anderen übertragen“, habe schon Lessing im Laokoon-Traktat gesagt – ein Name, den Gordana Vnuk nicht nur wegen seiner lautmalerischen Wirkung für das diesjährige Sommerfestival (30.8. bis 16.9.) gewählt hat.

Dabei will sie sich nicht mit dem sagenumwobenen altgriechischen Priester Laokoon vergleichen, dem die Götter wegen Hochverrats die Schlangen auf den Hals schickten. Sie will vielmehr – ähnlich wie es Okwui Enwezor, Leiter der documenta 2002, praktiziert, Produktionen aller Kontinente miteinander kontrastieren, will das Projekt Corps et Voix: Paroles Rhizome aus Ruanda gegen das mazedonisch-kroatisch-slowenische Global Theatre setzen, das im Nachkriegsjugoslawien neue Theaterformen sucht. Das Nebeneinander traditioneller Riten und moderner Formen, mit dem sich die kolumbianische Compania Alvaro Restrepo befasst, interessiert sie – und die gleichzeitige Ungleichzeitigkeit von Ausdrucksformen und Denkhorizonten. „Außerdem kreisen außereuropäische Produktionen nicht so schizophren um den eigenen Körper, sondern widmen sich Themen wie kollektiver Erinnerung und Metaphysik.“ Der Versuch, den ästhetischen „Quantensprung“ zu schaffen, die Tradition ohne Umwege – im Zeitraffer? – in die Moderne zu überführen, reizt Vnuk an solchen Produktionen.

Doch die Überbrückung ästhetischer Abstände genügt ihr keineswegs: An extremen Formen, an radikalem Körperausdruck ist sie interessiert, wie ihn etwa das japanische Ensemble Gekidan Kaitaisha praktiziert. Denn die neue Kampnagel-Leiterin stört sich an der „Geschlossenheit auch der experimentellen europäischen Szene und ihrer Festivals, die sich auf die immer gleichen Programme eingeschossen haben.“

Was also tun auf einem Kontinent, der in seinen eigenen Diskursen befangen ist und nicht über Kleinstaaterei und Futterneid hi-nauskommt? „Stücke aus allen Kontinenten vorführen“, sagt Gordana Vnuk – genauer: 13 Gastspiele und zwei Koproduktionen allein beim Laokoon-Festival. Den Blick der Europäer will sie durch Provokation schärfen – und die außereuropäischen Künstler mit hiesigen zusammenarbeiten lassen: Ein Projekt mit kolumbianischen und hamburger Jugendlichen plant für die Spielzeit 2002/2003 zum Beispiel Alvaro Restrepo.

Weggefährten, mit denen sie schon lange kooperiert – darunter Saburo Teshigawara und Stanislas Nordey – hat Gordana Vnuk für das erste Sommerfestival unter ihrer Intendanz, das künftig ein außereuropäischer Leiter übernehmen soll, zusammengeholt – „und ein Vorgeschmack auf die Spielzeit sollen die Inszenierungen auch sein“.

Vielleicht auch Ausdruck dessen, dass Anleihen bei anderen Gattungen Flucht vor der Weiterentwicklung der eigenen sein können. Dabei könnte man – und das wird Gordana Vnuk in Hamburg genauso wagen wie auf den von ihr früher geleiteten Zagreber Eurokaz-Festivals – die Diskussion um „konservativ“ und „richtungsweisend“ ganz neu eröffnen. Konkret festmachen ließe sich solches anhand einer Außenseiter-Produktion wie des Kaspar Konzerts der Compagnie Francois Verret. Vielleicht kann eine solche – mit Schattentheater angereicherte – Produktion gattungsinterne Selbstherrlichkeiten tatsächlich mal störend grell beleuchten.

Komplettes Programm unter www.kampnagel.de/laokoon