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: Das Phlegma kurz vorm Sommerloch

Ein Schluck bei Hans und Inge

Es passiert immer weniger. Das mag daran liegen, dass am 15. Juli in Berlin offiziell das Sommerloch beginnt. An diesem unumstößlichen Termin kann weder ein verspätet stattfindender Liebesumzug noch die Tatsache, dass Berlin eigentlich das ganze Jahr über tief im Sommerloch liegt, etwas ändern. Die zeitliche und thematische Nähe zum Sommerloch war bisher nur weniger aufgefallen, weil es keinen Sommer gab, und wohl auch, weil eben da, wo nun bald ein Loch kommt, vorher auch nichts war.

Kaum ist es aber ein wenig warm geworden, wird einem die Prä-Sommerloch-Lähmung schmerzhaft bewusst. Zuerst ist es nur ein unbestimmtes Ziehen in der Brust, ein irgendwie wehes Gefühl, und schon fühlt man sich genötigt, in einer dieser ekelhaft lauen Nächte durch die leeren Straßen dieser langweiligen Stadt zu flanieren.

Mitte ist ja, wie Eingeweihte längst wissen, das Neukölln von morgen. Die Verwahrlosungs-und Verelendungstendenzen sind längst nicht mehr zu übersehen. Wann hat man Pamela Andersons Busen oder wenigstens Ben Becker hier zum letzten Mal gesehen? Die Gegend um den Hackeschen Markt scheint tagsüber zwar noch relativ belebt. Aber wie lange noch?

Sogar die oft belächelten Touristengruppen wirken schon etwas gelangweilt und überheblich, wie sie so ratlos vor den Ampeln stehen. Nur in der Münzstraße ist ein wenig Leben: Menschen lungern dort vor einer Schankwirtschaft herum. „Das Beste aller Dinge – ein Schluck bei Horst und Inge“, verspricht eine Tafel im Schaufenster. „Nostalgie aus Verzweiflung am Jetzt – zurück nach Altberlin“, will man vorschnell mutmaßen. Ist es der neueste Thrill, sich in Hinterzimmern unter dunkelbraunen Holzvertäfelungen an historisch überlieferter Stelle herrlich biberkopfesk zu fühlen? Nein, falscher Alarm. Nur ein paar Galeriebesucher erholen sich hier nach anstrengenden Vernissagen gern bei einem urigen Solei oder einer handfesten Bulette.

Seltsam ruhig, gefährlich ruhig ist es auf den Straßen. Parkplätze en masse. Am Rosenthaler Platz klafft die offene Wunde, sichtbares Zeichen des Niedergangs des einst so hoffnungsvollen Bezirks: Burger King ist weg. Leerstand, wo vorher junge Menschen und schnelles Essen den Raum mit Leben und Geruch füllten. Der Burger King war nicht nur irgendein Imbiss, es war der vielleicht erste Ost-Burgerking der Welt! Zumindest in Berlin. So kann’s gehen. Zuerst verschwinden die Imbisse, dann verschwinden die Galerien und dann . . .

Nur die Veteranenstraße floriert noch. Das Bergstübel brummt – an dieser Stelle wurde bereits ausführlich über den neuen Trend des Besonderen im Nichts im Bergstübel informiert. Vielleicht ist es die leichte Hanglage, die den Menschen vorgaukelt, hier wäre Bewegung oder hier würde etwas passieren. Oder es ist das letzte sinnlose Aufbäumen einer längst verlorenen Gemeinschaft, die den Anachronismus ihrer mühsam erlebniserfüllten Ausgehexistenz nicht wahrhaben will.

Die ironische Fußballkneipe FC Magnet Mitte – die Inneneinrichtung verzichtet clevererweise auf jedes Fußballzitat – profitiert natürlich kräftig vom Boom ihres Nachbarn. Aus falsch verstandener oder vorauseilender Gentrifikation hat man draußen auch noch einen Crêpestand aufgestellt. Die ganze Welt soll wohl nun ein Straßenfest werden.

Aber so ist das Sommerloch: Im Rhein schwimmen Krokodile, am Alex fliegen Batterien, und die Menschen drängen sich vor Szenecrêperien in Hanglage. CHRISTIANE RÖSINGER