Flohmarktland Gropiusstadt

Die Berliner Flohmärkte haben zwar an Eleganz verloren, doch die Menschen der Gropius-Siedlung begreifen ihre Parkplatz-Märkte als Chance, ihre Wohnungseinrichtung wöchentlich neu zu erfinden

von KIRSTEN KÜPPERS

Auf dem Weg zum Parkplatz der Reichelt-Filiale in Berlin-Gropiusstadt kam einem ein älterer Mann mit einem Cowboyhut entgegengeradelt. Das war ein gutes Zeichen. Denn über die jüngeren Entwicklungen in den großstädtischen Flohmarktökonomien besteht ja weitgehend ein theoretischer Konsens: Flohmärkte befinden sich in der Krise. Dabei verhält es sich keineswegs so, dass die seit der Wende hinzugekommenen Männer aus Osteuropa mit ihren modernen Funktelefonen und Mehrfachsteckern alles verdorben hätten. Stände mit professionellen Händlern hat es auf Flohmärkten in städtischen Ballungszentren schließlich immer schon gegeben, ja, sie gehören zum breiten Dienstleistungskonzept dieser Veranstaltungen sogar konstituierend dazu. Und wenn auf den Berliner Flohmärkten nun meist ein unromantisches Überangebot an praktischen Gegenständen aus dem Globalisierungsalltag vorherrscht, dann ist das nicht das eigentliche Problem.

Nein, die Flohmärkte der Stadt befinden sich vielmehr in einer ideologischen Krise. Galten sie früher noch als Rückzugsorte subversiven Konsumverhaltens, an denen Menschen mit dem Kauf von Gebrauchtwaren ihre antikommerzielle Protesthaltung beweisen konnten, haben sich die Buden wie an der Straße des 17. Juni oder an der Museumsinsel heutzutage längst als akzeptierte Alternative im einheitlichen System der Warendistribution etabliert. In einer vernetzten Welt ist das Flohmarkt-Sortiment eher pittoresk, denn originell, bekommt man doch die angebotenen Produkte mittlerweile sehr viel einfacher über ganz andere Kanäle. Und wer heute auf dem Trödelmarkt eine Schellackplatte oder einen Wasserhahn erwirbt, zeigt in etwa so viel Widerstandsverhalten wie ein Kunde bei Drospa. Kurzum, Flohmärkte haben an radikaler Eleganz verloren.

Deswegen war also der ältere Herr mit dem Cowboyhut, der einem entgegenradelte, ein hoffnungsvolles Zeichen, versprach doch der Anblick dieses liebenswerten Desperados ein nicht geringes Stilbewusstsein unter den Flohmarktbesuchern der Hochhaussiedlung im Südosten von Berlin. Und selbst wenn sich hier beim Gang durch die Stände mit Entenhausen-Comics, selbst gestrickten Familiengeschenken und Bildbänden alter Fußballweltmeisterschaften dann doch kaum wirklich brauchbar Revolutionäres zusammenkaufen ließ, geriet dieser Parkplatz-Flohmarkt trotzdem zu einem schönen Ausflug.

Denn es ist immer aufschlussreich, wenn Menschen Reste ihrer privaten Vergangenheit auf Flohmarkttischen verkaufen: Stadtpläne von Bad Reichenhall, riskante Unterwäsche und selbst beschriftete Kassettenmitschnitte weisen auf viele hübsch erfüllte Freizeitstunden hin. Genauso die zerknautschten Stofftiere. Überhaupt scheint der Alltag in der Gropiusstadt voller leichten Vergnügens zu sein. Die Vielzahl an feilgebotenen Kniffelwürfeln und Puzzlespielen spricht von wunderbar entspannten Familienabenden im Hochhaus. Und lediglich klebrige Playboyhefte und defekte Luftbefeuchter wecken bisweilen eine ängstliche Ahnung von den Kehrseiten dieses Idylls.

Ohnehin scheinen sich die Menschen der Gropiusstadt mit ihrer Situation als Opfer spätkapitalistischer Wohnverhältnisse großartig zu arrangieren. Der Flohmarkt sonntags vor Reichelt wird hier noch als Chance begriffen, mittels derer jeder Bewohner des Viertels sich die eigene Wohnungseinrichtung wöchentlich neu erfinden kann. Und nur wenige Straßen vom Reichelt-Parkplatz entfernt, auf dem Bat Yam-Platz, steht dazu dann auch gleich noch ein weiterer Flohmarkt bereit.

Nicht ohne Genugtuung stellte man fest, dass auf diesem die Zlatko-CD mittlerweile zum lächerlichen Preis von zwei Mark verschleudert wird. An einem anderen Stand hatte eine Frau viele Fotos von bizarren Hautkrankheiten auf ihrem Tapeziertisch ausgebreitet. Ich erwarb stattdessen ein Diskoquiz. Es kostete eine Mark. Und auch der Blick auf die zugige Freifläche gegenüber der Imbissbude machte gute Laune. Ein junger Türke lies dort per Fernsteuerung einen frisch erstandenen Modellhubschrauber zwischen den Mietshäusern friedlich in den Himmel steigen.

Flohmärkte in der Gropiusstadt:Jeweils sonntags ab 8 Uhr auf dem Bat-Yam-Platz (U-Bahnhof Lipschitzallee) und auf dem Parkplatz der Reichelt-Filiale, Johannisthaler Allee (U-Bahnhof Johnannisthaler Chaussee)