„Populistische Guerilla“

Kronzeuge Tarek Mousli kommt im mehrfach unterbrochenen RZ-Prozess mal etwas ausführlicher zu Wort. Doch an wichtigen Details scheint die Richterin wenig interessiert

„Frau Vorsitzende, können Sie mir bitte weiterhelfen?“ Der dunkelhaarige Mann im Zeugenstand blickt etwas verzweifelt durch seine große, schwarze Brille, die offenbar seiner Tarnung dienen soll. Nein, so recht scheint Tarek Mousli nicht zu verstehen, was die Richterin Gisela Hennig nun genau von ihm hören will. Dabei gibt sich der Kronzeuge im Prozess gegen mutmaßliche Mitglieder der Revolutionären Zellen (RZ) alle Mühe zu berichten, was er über die fünf ihm gegenübersitzenden Angeklagten wissen will. Es ist erst das zweite Mal, dass Mousli ausführlicher zu Wort kommt, seit er vor drei Wochen seinen ersten Auftritt in dem von Unterbrechungen gezeichneten Verfahren vor dem Kammergericht hatte.

Doch die Richterin, so scheint es, hat auch bis zum gestrigen 16. Verhandlungstag die Prozessakten nicht genau studiert. Hennig springt in ihren Fragen von einem Zusammenhang zum nächsten: von jener Zeit, in der Mousli 1981 über die Zeitschrift radikal erste Kontakte zu dem RZ-Mitglied Gerd Albartus bekommen haben will, direkt zum Ende des Jahrzehnts, als er bei einem konspirativen Waldspaziergang den Angeklagten Matthias Borgmann kennen gelernt habe. Und dann wieder zurück zu den RZ-internen Debatten über Anschläge im Rahmen der Flüchtlingskampagne Mitte der Achtziger, die den Angeklagten vorgeworfen werden. Über den ideologischen Hintergrund der Gruppe soll Mousli berichten. „Was soll ich dazu sagen, wie weit soll ich ausholen?“, reagiert der Kronzeuge bereitwillig, doch die Richterin gibt sich dann schnell mit dem Begriff „populistische Guerilla“ in „klarer Abgrenzung zur RAF“ zufrieden.

Auf etwas mehr Interesse stoßen Mouslis Angaben über die angebliche Rolle der Angeklagten Rudolf Schindler und Sabine Eckle. Die ehemals illegal in Berlin Lebenden sowie sein damals bester Freund Lothar Ebke seien zusammen mit ihm in einer RZ-Gruppe organisiert gewesen, so Mousli. Schon bei einem ersten Treffen hätten die beiden „Wäldler“, also Illegalen, darauf gedrängt, dass Ebke und er den Beruf aufgeben sollten, um sich auf die Aktivitäten in den RZ zu konzentrieren. Wie, wo und unter welchen Bedingungen die geheimen Meetings abgelaufen sind, will Richterin Hennig dann doch nicht so genau wissen. Dabei scheint zumindest fragwürdig, dass ausgerechnet der mittlerweile verstorbene Gerd Albartus regelmäßig an Treffen mit den Illegalen teilgenommen haben soll. Schließlich war er schon wegen einer RZ-Aktion im Gefängnis gesessen und wurde später von Fahndern des Bundeskriminalamtes (BKA) bestens überwacht.

Doch Mousli gibt sich eloquent und auskunftfreudig, bemüht sich um möglichst umfassende Antworten. Dass die fünf Angeklagten, die er angeblich einst zu seinen Mitstreitern zählte, einzig wegen seiner Aussagen vor Gericht stehen, scheint ihn nicht zu berühren. Er nennt Namen von ehemaligen Freunden, als liege seine Vergangenheit als Kreuzberger Autonomer gerade einmal ein paar Monate zurück.

Wie jedoch seine eigenen Angaben vor BKA und Bundesanwaltschaft zustande kamen, wird sich wohl in diesem Prozess nicht klären lassen. Kaum hatte seine Vernehmung vor drei Wochen begonnen, verweigerte Mousli mit Verweis auf seine begrenzte Aussagegenehmigung wichtige Angaben. So ist bis heute der Inhalt eines Telefongesprächs unbekannt, das er nach seiner Verhaftung im November 1999 mit seiner damaligen Freundin geführt hatte. Dabei war es nicht zuletzt dieses Telefonat, das ihn nach eigenen Worten dazu bewogen hat, auf die Kronzeugenregelung einzugehen.

Dennoch gab das Gericht Mousli Recht: Per Beschluss legten die Richter vergangene Woche fest, dass der Zeuge an bestimmten Punkten die Aussage verweigern dürfe. Durch die Veröffentlichung des Gesprächs könne seine neue Identität, die er im Rahmen des Zeugenschutzprogramms erhalten hat, bekannt werden. Und schließlich bestehe wegen Drohungen aus der linken Szene Lebensgefahr. Die Verteidigung reagierte auf diese Entscheidung mit einem Befangenheitsantrag gegen den Strafsenat, der aber am Mittwoch abgewiesen wurde.

WOLF-DIETER VOGEL