Polens Regierung schlittert ins Aus

Rücktritte, schlechte Umfragen, maulige Politiker: Das aus der Gewerkschaft Solidarność hervorgegangene polnische Regierungsbündnis zerfällt pünktlich zu den bevorstehenden Wahlen. Die Exkommunisten hoffen auf die absolute Mehrheit

aus Warschau GABRIELE LESSER

Zwei Monate vor den Parlamentswahlen gerät die krisengeschüttelte Minderheitsregierung in Polen an den Rand der Handlungsunfähigkeit. Vor zwei Tagen entließ Ministerpräsident Jerzy Buzek überraschend Justizminister Lech Kaczynski. Am Tag darauf trat aus Solidarität Kultusminister Kazimierz Ujazdowski zurück. Kommunikationsminister Tomasz Szyszko hat sich zwar für den Verbleib in der Regierung entschieden, soll aber von seiner Partei aus der Regierung abberufen werden. So sind die Rivalitäten innerhalb der regierenden konservativen „Wahlaktion Solidarność“ (AWS) zu einem offenen Machtkampf um die Vorherrschaft in der künftigen Opposition ausgeartet.

Unmittelbarer Anlass für die plötzliche Entlassung des Justizministers war die Verhaftung eines Geheimdienstoffiziers, mit der Ministerpräsident Buzek nicht einverstanden war. Der wahre Grund dürfte jedoch in der zunehmenden Popularität der Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) liegen, der alle drei erwähnten Minister angehören. Umfragen zufolge liegt die erst vor kurzem von Kaczynski gegründete Partei mit rund zehn Prozent vor der AWS.

Favorit ist bereits seit Monaten die postkommunistische Demokratische Linksallianz (SLD). Der Vorsitzende der aus der kommunistischen Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei hervorgegangenen Partei, Leszek Miller, hofft sogar auf die absolute Mehrheit. Für die Gewerkschafts- und Freiheitsbewegung Solidarność hingegen, die als Erstes im früheren Ostblock den demokratischen Wandel erkämpfte und deren Nachfolgeorganisationen die heute regierende AWS bilden, droht das parlamentarische Aus. Besonders bitter ist für die Freiheitskämpfer von einst, dass die Solidarność heute mit Vetternwirtschaft, Unfähigkeit und Arroganz assoziiert wird, was einst ausschließlich den herrschenden Kommunisten zugeschrieben wurde.

Staatspräsident Aleksander Kwasniewski appellierte gestern in einem Radiointerview an die Regierung, sich nicht völlig ins Aus zu manövrieren, sondern zu versuchen, bei den nächsten Wahlen eine Opposition auf die Beine zu stellen, die diesen Namen auch verdiene: „Wir brauchen im demokratischen Polen eine verantwortungsvolle Opposition, eine starke und europafreundliche konservative Partei.“ Diese Rolle könnte die „Bürgerplattform“ (PO) übernehmen, die sich nach dem desaströsen Abschneiden des AWS-Vorsitzenden Marian Krzaklewski bei den letzten Präsidentschaftswahlen gebildet hatte. In der PO haben viele Politiker Unterschlupf gefunden, die mit den zahlreichen Fehlern der Solidarność-Regierung nicht mehr in Verbindung gebracht werden wollen. Da die Bürgerplattform sich als Antipartei versteht, fand sie auf Anhieb großen Anklang bei der Bevölkerung. Umfragen zufolge erreicht sie heute um die 10 bis 13 Prozent in der Wählergunst.

Für den Präsidenten liegt die Ursache für das „Ende in Konvulsionen“ in der Genese der AWS. Deren wichtigste Kraft war die Gewerkschaft Solidarność, die zwar konservative Wertevorstellungen hatte, wirtschaftlich aber dem alten System anhing und somit Reformen durchsetzte, die heute allesamt reformbedürftig sind. Und so wird die SLD im Herbst mit dem AWS-Programm von vor vier Jahren in den Wahlkampf starten: Reformen braucht das Land!