Undank, überall Undank

Ohne Veränderungen, sagt ein Abgeordneter, fällt die SPD tief. Aber was soll die Partei ändern, so kurz vor der Wahl?

aus Hamburg HEIKE HAARHOFF

So ganz hat sich der Name der neuen Wunderwaffe noch nicht herumgesprochen. „Und ganz besonders begrüße ich den neuen Präses der Innenbehörde, Herrn . . ., Herrn . . .“ Die Redepause wird länger und länger. Wie heißt der Kerl noch gleich? Direkt gegenüber steht er, ein unauffälliger Mann in dunkelblauem Anzug, lächelt und wartet, dass der Einsatzpolizeihauptkommissar Detlef Maerker mit seiner kleinen Ansprache zu Ende kommt und seinem neuen obersten Dienstherrn das Wort erteilt. Über die Polizei in Hamburg im Allgemeinen und zur Eröffnung des Polizeikommissariats 46 im Stadtteil Harburg wird er sich äußern und schließlich, wie im Programm angekündigt, zur „feierlichen Anbringung des Dienststellenschildes am Dienstgebäude“ schreiten. Doch stattdessen schreitet bloß die Zeit voran und mit ihr die Rötung im Gesicht des Einsatzpolizeihauptkommissars. Da endlich befreit ihn ein Gedankenblitz: „Innensenator Scholz, ich begrüße Innensenator Olaf Scholz!“

Wie heißt der Mann?

Der lächelt weiter gutmütig. In seinem Job sind Eitelkeiten nicht gefragt. Scholz, seit gut einem Monat im Amt, ist angetreten, seinen Namen nicht nur seinen Untergebenen, sondern vor allem der SPD-Wählerschaft in der Hansestadt einzuprägen: als starker Landesparteichef und energischer, unverbrauchter Senator, als Alleskönner, der das Steuer an der Seite von Bürgermeister Ortwin Runde (SPD) in letzter Minute herumreißen wird, als Garant für die wiederentdeckte politische Aufrichtigkeit der Hamburger Sozialdemokratie. Die will wider alle Erfahrung neuerdings in der Lage sein, Vorwürfe wegen Filz und Parteibuchwirtschaft zu entkräften, Ängste von Bürgerinnen und Bürgern ernst zu nehmen und die 7.000 Polizisten der Hansestadt so weit auf Linie zu bringen, dass etwaiger interner Zoff um schlechten Führungsstil oder Kommunikationspannen künftig zuerst auf dem Schreibtisch des Behördenchefs landet statt bei der Springer-Presse.

Scholz’ Vorgänger Hartmuth Wrocklage (SPD) wurde deswegen Ende Mai geschasst. Panik schüttelt die SPD-Chefetage, die Fraktion wie die Basis, seit Umfragen das Unvorstellbare zur Gewissheit geraten lassen: Nach 44 Jahren auf der Regierungsbank könnte die Hamburger SPD bei den Bürgerschaftswahlen am 23. September erstmals ganz knapp in die Opposition gezwungen werden. Oder, ähnlich unerträglich für das sozialdemokratische Selbstverständnis, in die große Koalition. Denn bis vorgestern verhießen die Prognosen nichts Gutes: Bestenfalls ein Patt zustande brächten die SPD und die Grün-Alternative Liste (GAL), die seit vier Jahren mit der SPD koaliert und in dieser Zeit zur erfolgreichen Mehrheitsbeschafferin gezähmt werden konnte. Seit Mittwoch sieht Forsa das Regierungsduo mit 37 bzw. 9 Prozent wieder in leichtem Aufwind. Doch der knappe Vorsprung von nur einem Prozentpunkt (46 zu 45) gegenüber dem so genannten bürgerlichen Block aus CDU (31 Prozent), FDP (5 Prozent) und der rechtspopulistischen Schill-Partei (9 Prozent) ihres gleichnamigen Vorsitzenden Ronald Barnabas Schill stimmt die Genossen nicht eben erleichtert.

Nicht dass der ewige Bürgermeister-Herausforderer Ole von Beust es verstanden hätte, die Angeschlagenheit der schreckgelähmten SPD zu nutzen und seine seit Jahren unverändert bei 30 oder 31 Prozent stagnierende CDU diesmal als Partei des Wechsels darzustellen. Es ist der markige Amtsrichter Ronald Schill, der sich in seinem früheren Berufsleben mit harschen Urteilen, bevorzugt über Ausländer, und neuerdings als Politiker mit Rufen nach „Abschiebung aller Illegalen“, Auflösung der Drogenszene, drakonischen Strafen für alle, „die Hamburg zur Verbrechensstadt Nummer eins in Deutschland gemacht haben“, und gelegentlich nach der Todesstrafe einen Namen als Aufräumer gemacht hat.

Das hat Rüdiger Schulz’ Weltbild ins Wanken gebracht. 1.200 Leute, sagt der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete aus dem Bezirk Harburg südlich der Elbe, holt Schill mittlerweile zu Versammlungen in Stadtteilen wie Wilhelmsburg oder Neuwiedenthal. Zu deren negativem Image trug die SPD in den 90er-Jahren mit unmissverständlichen Bezeichnungen wie „sozialer Brennpunkt“ oder „Problemstadtteil“ bei.

Heute wundert sie sich, dass Law-and-Order-Sprüche dort gut ankommen und ihr die letzten Stammwähler aus dem einstigen Arbeitermilieu wegzunehmen drohen. Doch Rüdiger Schulz gibt sich nicht geschlagen. „Wir“, sagt er, „gehen auch zu diesen Veranstaltungen. Wir klären die Leute auf.“ Und zwar mit fotokopierten Zetteln, auf denen sich Punkt für Punkt an Schills Wahlprogramm abgearbeitet und „nachgewiesen wird“, sagt Schulz, weshalb Schill bloß ein dumpfer Sprücheklopfer ist. Nur auf das SPD-Logo verzichte man auf diesen Handzetteln, die die Menschen abhalten sollen, Schill ihre Stimme zu geben. Denn: „Das kommt vielleicht nicht so gut an.“

Selten so defensiv

Selten zog die Hamburger SPD defensiver in einen Wahlkampf. Zweieinhalb Monate vor der Abstimmung auf Landesebene steckt sie in tiefer Krise. „Ein Hühnerhaufen“, sagt Rüdiger Schulz, „macht dagegen einen geordneten Eindruck.“ Denn da ist das von Opposition und Medien gesetzte, mittlerweile alles bestimmende Wahlkampfthema „Innere Sicherheit“. „Wir hätten darauf vorbereitet sein können“, sagt Rüdiger Schulz. Zumal schon vor vier Jahren Hamburgs damaliger Bürgermeister Henning Voscherau ebendaran scheiterte. Mit 36,2 Prozent erhielt die SPD damals das schlechteste Ergebnis der Nachkriegszeit. „Aber in seiner Wucht hat uns das Thema dann doch überrascht“, sagt Rüdiger Schulz, und es klingt fast beleidigt, weil man ihm und seiner Partei so etwas hat antun können.

Wo doch einst alles so gut lief in Hamburg! Ein gutes Dutzend Genossen versammelt sich am Abend in ihrer Stammkneipe nicht weit vom Rathaus, um den Frust über die Ungerechtigkeit dieser Welt zu ersäufen. Den Superairbus hat die SPD an die Elbe geholt und damit bestimmt 4.000 neue Jobs, na gut, sagen wir: 2.000 vielleicht. Die Arbeitslosigkeit hat sie mit 7,9 Prozent auf einem Niveau gehalten, das sich sehen lässt. Beim Länderfinanzausgleich hat Bürgermeister Runde als Verhandlungsführer alle Interessen Hamburgs durchsetzen können, und jeder, der in der Hansestadt etwas werden wollte, hatte dazu alle Chancen, solange er nur das SPD-Parteibuch trug. Und nach 44 Jahren SPD-Regentschaft trugen es ja auch die meisten, freiwillig, versteht sich. Doch statt stiller Ehrerbietung nichts als Undank. Ausgerechnet diejenigen fallen der Partei in den Rücken, die ihr doch alles verdanken, die Richter der Landgerichte beispielsweise: Die Rechtsprechung stehe angesichts der Arbeitsüberlastung vor dem Kollaps, behaupten sie nun dreist, wo sie doch auch fast alle in der SPD sind.

Wer sich in die Enge getrieben fühlt, macht Fehler. Anstatt sich der Sorgen der Richter anzunehmen, behandelte die SPD sie mit Arroganz. Der DGB-Vorsitzende Pumm bereitete weiteren Ärger: In der Affäre um einen Arbeitslosenhilfeverein, der für SPD-Veranstaltungen Lachsbrötchen geschmiert, aber diese Einnahmen nicht korrekt abgerechnet haben soll und dafür die öffentlichen Zuwendungen gestrichen bekam, habe Arbeits- und Sozialsenatorin Roth mehr gewusst als zugegeben, hatte er behauptet, bevor die Partei ihm den Mund verbat. Denn selbstverständlich ist Pumm nicht nur in der SPD, sondern zufällig beim Arbeitsamt auch für die Kontrolle und Vergabe der Vereinsfördermittel zuständig. Die Rücktrittsforderungen und Filzvorwürfe der CDU konnte die SPD in der Bürgerschaftssitzung parieren, während Roth, ihres Zeichens Ex-DGB-Chefin des Kreises Nord, von der Regierungsbank aus das versteinert dasitzende SPD-Fraktionsmitglied Pumm anfunkelte.

In den Abgrund schauen

„Noch mal“, sagt ein Abgeordneter bitter, „machen wir diese Heuchelei nicht mit. Noch mal ziehen wir den Karren nicht aus dem Dreck.“ Denn allen in der Kneipenrunde ist klar: So wie bisher kann es nicht weitergehen. Die Krise ist hausgemacht, das dämmert vielen, Aufräumarbeiten und Personalwechsel stehen an. Ansonsten, prophezeit einer, „guckt die Partei nicht nur in den Abgrund, sondern fällt hinein.“ Nur: So kurz vor der Wahl Veränderungen vornehmen? Unmöglich. Einen weiteren Rücktritt nach dem des Innensenators kann sich die SPD nicht leisten. Zumal bereits Roths Vorgängerin, die Sozialsenatorin Fischer-Menzel, vor nur zwei Jahren über ihren eigenen Behördenfilz stolperte. Die Lage ist zum Verzweifeln. „Wie“, ruft einer, „kann man eigentlich so dämlich sein, und mit ein paar Lachsbrötchen eine Regierungskrise auslösen?“

Der Bürgermeister höchstselbst betritt die Kneipe. Manchmal muss man die Genossen eben beruhigen. Eines will er deshalb klarstellen: Alle bisherigen Umfragen sehen die SPD knapp vor oder hinter ihrem Ergebnis von vor vier Jahren. Das war mit mageren 36,2 Prozent nicht glorreich, sicher, aber immerhin. Eine dramatische Veränderung, sagt Runde, ist also gar nicht zu befürchten. „Richtig“, murmelt einer, „in Prozenten stehen wir nicht dramatisch da. Höchstens in einer neuen parlamentarischen Situation.“