Die halbe Wahrheit

Dass ein Bundeswehreinsatz in Makedonien nur dreißig Tage dauern wird, glaubt im Parlament niemand

aus Berlin BETTINA GAUS

Es war eine merkwürdige Aussprache, die da gestern im Bundestag stattfand. Über Parteigrenzen hinweg waren sich die Redner einig, dass sie ohnehin nicht an das glauben, worüber sie diskutierten: ob sich nämlich die Bundeswehr an dem vom Nato-Rat beschlossenen, 30 Tage währenden Einsatz der Allianz in Makedonien zum Einsammeln freiwillig abgegebener Waffen beteiligen soll oder nicht. „Unrealistisch“ nannte der ehemalige Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) dieses Mandat. Ein „ehrliches Mandat“ forderte auch Gernot Erler von der SPD. FDP-Fraktionschef Wolfgang Gerhardt warnte, Soldaten dürfe kein 30-Tage-Einsatz „vorgegaukelt“ werden, und wehrte sich gegen eine „scheibchenweise“ Verlängerung.

Dann trat Verteidigungsminister Rudolf Scharping ans Rednerpult und – stimmte den Skeptikern zu. „In meiner Einschätzung werden es nicht 30 Tage sein.“ Diese Frist sei „nur die halbe Wahrheit“. Die ganze Wahrheit sei: Die Nato habe in ihrem Operationsplan „die Möglichkeit und vielleicht auch die Notwendigkeit“ einer Verlängerung vorgesehen. Solle Hilfe für Makedonien aber etwa nur deshalb abgelehnt werden, weil sich vielleicht nicht jeder „Knallkopp“ an einen Waffenstillstand hielte?

Damit hat Scharping die Problematik der gegenwärtigen Makedonien-Diskussion in Deutschland umrissen – sie wird nämlich fast ausschließlich unter militärischen und finanziellen Gesichtspunkten geführt. Wie viele Kompanien dürfen’s denn sein? Kann sich die Bundeswehr das überhaupt leisten, und was meint eigentlich der Generalinspekteur dazu? Die Bundesregierung besteht zwar auf einer politischen Verhandlungslösung, dem Beginn eines Verfassungsdialogs, dem allseitigen Verzicht auf Gewaltanwendung und der Selbstverpflichtung der UÇK-Rebellen zur freiwilligen Waffenabgabe als Bedingungen für ein Engagement der Bundeswehr in Makedonien. Solche Voraussetzungen zielen jedoch stärker auf die technische Durchsetzbarkeit eines Mandats, als dass sie die Eckpunkte der westlichen Balkanpolitik umrissen.

Außenminister Joschka Fischer hat gestern in seiner Regierungserklärung zumindest versucht, das Thema zu repolitisieren: „Wir haben nicht gegen den großserbischen Nationalismus gekämpft, um nun einem anderen extremen Nationalismus nachzugeben,“ sagte er in Anspielung auf großalbanische Träume der UÇK. Die „territoriale Integrität für Makedonien“, die Absage an einen Sonderstatus für Teilgebiete und „vor allem ein Bekenntnis zu Makedonien als multiethnischem Staat“ bezeichnete er ebenso wie „Schutzklauseln für Minderheiten“ als unabdingbare Voraussetzungen für eine Beteiligung der Bundeswehr an einer Nato-Operation. Wenn sie erfüllt sind, „dann allerdings darf und wird sich Deutschland seiner Verantwortung nicht entziehen“.

Fischers politische Absichtserklärung deckte sich erstaunlich weitgehend mit Forderungen von Wolfgang Gehrcke von der PDS: Dieser verlangte eine neue Balkanpolitik, die ein „klares, deutliches Nein zu allen Forderungen nach Veränderungen der Grenzen“ beinhalten müsse, „ohne dass dort Grauzonen bleiben“, und die „klare Definition der Rechte aller Minderheiten“. Gehrcke forderte allerdings auch, die Federführung des ganzen Balkan-Prozesses bei UNO und OSZE anzusiedeln. Außenminister Fischer hingegen ließ durchblicken, dass die Bundesregierung sich gegenwärtig offenbar nicht um ein UN-Mandat bemühen will: Die Bitte des makedonischen Präsidenten um Unterstützung sei „die eindeutige Rechtsgrundlage“ für die Nato-Operation.

Volker Rühe hielt sich nicht bei politischen Grundsatzfragen auf. Aus seiner Sicht stellt sich in Makedonien vor allem die Frage, ob die Bundeswehr einen Beitrag für ein „robusteres, ehrlicheres Mandat“ leisten könne. Deshalb gebe es einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen „drastischer Unterfinanzierung“ der Streitkräfte und weiteren Auslandseinsätzen: „Sie haben doch das Schwert stumpf gemacht, mit dem Sie jetzt kämpfen wollen“, rief er den Regierungsfraktionen zu. Guido Westerwelle gratulierte danach mit Handschlag. Helmut Lippelt von den Grünen warf der Opposition dagegen vor, aus „schlecht verhüllten innenpolitischen Motiven“ heraus zu argumentieren.