Partielles Scheitern möglich machen

Die Kammerspiele veranstalten zum sechsten Mal das Festival „Die Wüste lebt“  ■ Von Annette Stiekele

Auch wenn der künstlerische Leiter der Kammerspiele, Ulrich Waller, von jungen deutschsprachigen Autoren zur Zeit eher enttäuscht ist, sind die Kammerspiele auch in diesem Jahr wieder Ausrichter eines schon renommierten Nachwuchsfestivals. Erneut hat eine vierköpfige Jury von der Universität Hamburg und den Hamburger Kammerspielen aus 40 Bewerbern genug interessante Kandidaten herausdestillieren können, um damit ein ganzes Festival junger Regisseure und Schauspieler zu bestreiten. Vom kommenden Mittwoch an geht zum sechsten Mal „Die Wüste lebt“ über die Bühne. Im Amerikahaus in der Tesdorpfstraße hat die „Wüste“ anstelle der von Bauarbeiten belegten Kammerspiele einen geeigneten Ort gefunden, der dem Charakter des Experiments sogar noch stärker entspricht.

Angehende Regisseure und Schauspieler, die meisten von ihnen Studenten des Studienganges Schauspieltheater-Regie der Universität Hamburg, haben eine Woche lang die Chance, ihre Arbeit außerhalb der Universität zu zeigen. „Es soll weiter möglich sein, partiell zu scheitern ohne ernsthafte Konsequenzen“, so Barbara Müller-Wesemann von der Universität Hamburg. Sie beklagte ausdrücklich die finanzielle Situation des Festivals, die dank der Zuschüsse der Förderer zwar gesichert ist, eine Durchführung aber nur durch Selbstausbeutung der Beteiligten ermöglicht.

Diesmal stammen nicht alle der acht eingeladenen Produktionen aus Hamburg. Das Festival will sich stärker anderen Ländern öffnen und neue Sichtweisen einbeziehen. Die Aufführung Schuld und Sühne/Sbrodnia i kara nach Fjodor Dostojewski wird sogar komplett in polnischer Sprache abgehalten. Die ewige Ungerechtigkeit des Lebens und die Verzweiflung da herauszufinden treiben hier die Figuren. Der polnische Regisseur Tomasz Man und das Teatr Dramatyczny wagen den ambitionierten Versuch, trotz der Sprachbarriere den Weg zu den Zuschauern zu finden.

Häufiges Thema der Projekte ist die Identitätssuche junger Menschen in einer von Medien und Simulation bestimmten Zeit. In Bar Israel nach dem Theaterstück You Are Also Very Attractive When You Are Dead und dem Roman Blauer Montag von Arnon Grünberg nutzt der junge Regisseur Christoph Diem die Suche des Volkes Israel nach dem Ort der Verheißung als Folie, um das verzweifelte Streben von 30-Jährigen nach Glück und Zukunft darzustellen. Nach einem festen Bezugssystem sucht auch der junge Mann im Monodrama Being Deniz Rodman – Monolog an eine Mutter in der Regie des Hamburger Regisseurs Orazio Zambelletti. Er findet sie scheinbar in der Kunstfigur des flippigen Baseballstars der 90er-Jahre, der geschickt mit den Medien umging und sich durch Piercing und Pop definierte. Theresia Walsers auf zwei Ebenen funktionierendes Stück So wild ist es in unseren Wäldern schon lange nicht mehr teilen sich Andreas Kebelmann und Dorothea Pudenz. Gemeinsam erzählen sie von drei Knaben, die sich nachts auf einer Bank treffen und in Traumbilder der Realität entfliehen. Um Popkultur und Identitätsfindung geht es auch in Tristesse Royale – Ein Leonce und Lena Déjà-vu des Hamburgers Julius Jensen. Mit Büchner will er gegen die verbreitete Langeweile einer dekadenten Elite anspielen.

Eine klassische Vorlage haben sich Karin Heberlein und Regina Gyr vorgenommen, Thomas Manns Zauberberg. In Alpenröcheln nähern sie sich humorvoll der kränkelnden Alpenwelt und ihrer Untergangsstimmung. Aus Köln wurde das Gastspiel Schädelstätte oder die Bekehrung der heiligen Maria, ein Ein-Personenstück von Andreas Erdmann eingeladen, in dem er den Mythos der Urmutter Maria demontiert. Die junge Regisseurin Pia Gehle studiert an der renommierten privaten Kölner Schule des Theaters im Theater der Keller. Von der Giessener Theaterakademie kommt Steffen Popp mit einem selbstverfassten Monodrama: mallpassant. In Anlehnung an den französischen Schriftsteller Guy de Maupassant blickt Popp in das Innere eines Schriftstellers heute, wo die Originalität eines Wesens durch Klonen und Sampeln zunehmend infrage gestellt wird. Den Projektbeschreibungen zufolge scheint es in der Wüste sehr viel Leben zu geben, das zum Staunen einlädt.

Bar Israel: Mi, 20 Uhr + Do, 21 Uhr; Being Deniz Rodman: Do + Sa, 20 Uhr, Fr, 22 Uhr; So wild ist es ...: Fr, 20 Uhr + Sa, 21 Uhr; Schuld und Sühne: So, 19 Uhr + 21.30 Uhr; Tristesse Royal: Mo, 16.7., 20 Uhr + Di, 17.7., 21.30 Uhr; Schädelstätte: Mo, 16.7., 21.30 Uhr + Di, 17.7., 20 Uhr; Alpenröcheln: Mi, 18.7., 20 Uhr + Do, 19.7., 22 Uhr (anschl. Abschlussfest); mallpassant: Mi, 18.7., 22 Uhr + Do, 19.7., 20 Uhr, Amerikahaus, Tesdorpfstr. 1