„Ich hasse nicht zurück“

Die PDS startet mit einem Straßenfest im Westberliner Stadtteil Wedding in den Wahlkampf. Spitzenkandidat Gregor Gysi präsentiert nicht unbedingt orginelle, aber mit wohl dosiert populistischen Scherzen gewürzte Rezepte. Das reicht aus, um ihn hier als Kommunalpolitiker mit Herz zu etablieren

„Wir Berliner taugen nicht viel als Diener, aber auch nicht viel als Herren“

von CHRISTIAN SEMLER

„Roter Wedding, grüß’ euch, Genossen, haltet die Fäuste bereit, haltet die roten Reihen geschlossen, denn unser Tag ist nicht weit“ – nein, das schöne Lied von Erich Weinert und Hanns Eisler war nirgendwo zu hören, so martialisch ging es nicht zu, als Gregor Gysi am Samstag in der Tegeler Straße im Westberliner Stadtteil Wedding seinen Wahlkampf eröffnete. Ein paar der alten Genossen trugen stolz die Ordnerbinde spazieren, aber zu ordnen gab es eigentlich nichts auf dem Straßenfest der PDS. Was sah man? Unmengen Kinder auf der Bouncen Box und am Bungee Run, wo die vorwärts stürmenden Kleinen auf halber Strecke erbarmungslos vom Seil zurückgezerrt wurden, also die richtige Art der politischen Einübung. Spreewälder Produkte natürlich, Gysis Gesammelte Werke und Nostalgisches über die großen Zeiten des DDR-Sports am Bücherstand, der entrückte Che bei Cuba Sí!, die unvermeidliche, großartige Gulaschkanone aus den Beständen der NVA, diesmal auf Milchreis umgestellt. Sehr viele Ausländer mit und ohne deutschen Pass, Gysi-Groupies beiderlei Geschlechts, darunter sogar eine Kopftuch-Trägerin. Die Girlie-Band im Bierzelt intonierte zum Aufwärmen ihren Antifa-Song „Keine Angst vor Deutschland“.

Mit einem Wort: Idylle. Halb schon wieder aufgemotzt die Häuser am Berlin-Spandauer-Schifffahrtskanal, halb verslumt das Viertel dahinter, wo die Straßennamen vom Pekingplatz bis zur Kiautschoustraße an Kaiser Wilhelms chinesisches Abenteuer erinnern. Der Wedding ist überhaupt ein Erinnerungsort. Hochburg der Kommunistischen Partei in den 20er-Jahren, Schauplatz des vom sozialdmokratischen Polizeipräsidenten verantworteten Blutmai 1929. Die Nazis „säuberten“ das Viertel, ohne es je ganz in den Griff zu bekommen. Das gelang erst der Sozialdemokratie im Gefolge von Berliner Blockade, dem Mauerbau der SED und nicht zuletzt dem sozialen Wohnungsbau. Mit der großen Industrie ist es längst vorbei, sie hatte noch die türkischen Arbeiter ins Viertel gezogen. Jetzt entdeckt die Intelligenzija eine neue Wohngegend.

Eben bringen im Zelt die Girlies noch den lieben Kleinen bei, an die richtigen Stelle die Faust zu recken, da kommt auch schon ihr „großer Junge“, mit freundlichem, nicht aber frenetischem Beifall begrüßt. Der Spitzenkandidat antwortet auf die Stichworte einer Moderatorin und er hat leichtes Spiel. Im Wesentlichen bringt er fünf Botschaften rüber:

1. „Meine Heimat ist die PDS, aber elf Jahre Funktionär reicht. Weshalb ich als demokratischer Sozialist für die Interessen Berlins zu arbeiten gedenke, auch wenn mein Umgang – z. B. mit Unternehmern – meiner Partei nicht immer frommt. Auch in der Vergangenheit bin ich in der PDS keinem Streit aus dem Weg gegangen.“ Und dann folgt Gysis kategorischer Imperativ: „Ich habe stets so gehandelt, wie ich mir wünsche, dass die Partei handeln sollte.“

2. Die CDU will, dass die Stadt „in sich verhasst bleibt“, sie will den Ost-West-Konflikt weiterkochen. „Aber ich hasse nicht zurück.“ Ost gegen West verdeckt Reich gegen Arm. Und, an einige CDU-Zwischenrufer gewandt: „Sie wollten doch den Fall der Mauer und die Vereinigung. Jetzt müssen Sie auch Gysi mit runterschlucken.“ Also die schon bewährte Parole „Versöhnen statt erneut spalten“.

3. Berlin ist Hauptstadt, aber von den bislang Regierenden weiß keiner, wozu das gut sein soll. Auch und gerade in einem föderativen System wie dem der Bundesrepublik muss die Hauptstadt Motor sein, wissenschaftlich, künstlerisch, ökonomisch. Das menschliche Potenzial einer Stadt, die vierzig Jahre unter zwei Systemen lebte, ist überhaupt nicht ausgeschöpft. „Wir müssen an die fünf glänzenden Jahre Berlins in der Weimarer Republik anknüpfen.“

4. Politik machen heißt Prioritäten setzen. Auch beim Sparen. Mehr für Bildung, keine Abstriche bei der Kultur, in der öffentlichen Verwaltung kein Rasenmäher, sondern Vereinfachung und Konzentration der Entscheidungswege.

5. Ja zur Privatisierung von allen Betrieben, die für eine ökologische und soziale Regulierung der Wirtschaft nicht notwendig sind. Beispiel für eine richtige Privatisierung: die Telekom. Und für eine falsche: die Deutsche Bahn. „Investitionswilligen Unternehmern muss man entgegenkommen, wenn sie Arbeitsplatzgarantien abgeben. Wer sich nur ein Grundstück in günstiger Lage unter den Nagel reißen will, soll den Höchstpreis zahlen.“

Solche nicht unbedingt originelle, aber mit wohl dosiert populistischen Scherzen gewürzte Rezepte reichten aus, um Gysi bei der Weddinger Auftaktveranstaltung als Kommunalpolitiker mit Herz zu etablieren. Sich und das Auditorium charakterisierend, beschwor er den typisch Berliner Gegensatz zwischen Gast und Kellner herauf und endete: „Wir Berliner taugen nicht viel als Diener, aber auch nicht viel als Herren. Nehmt uns einfach, wie wir sind.“