Der Janusköpfige

Goran Ivanisevic bewahrt sich mit dem Halbfinalsieg über den Briten Tim Henman die Chance, als erster Wildcard-Spieler Wimbledon zu gewinnen

aus Wimbledom MATTI LIESKE

In seinen etwas uncharmanteren Zeiten hat John McEnroe einmal gesagt, es wäre völlig verrückt, ein Turnier in London zu einer Zeit auszutragen, in der es ständig regnet. Frei übersetzt bedeutet dies nichts anderes, als dass es völlig verrückt ist, überhaupt in London Tennis zu spielen.

Diesmal zeigte sich der für den Londoner Südwesten zuständige Wettergott sogar als besonders perfider Geselle. Just, als ganz England darauf harrte, dass einer der Ihren endlich erstmals seit 63 Jahren wieder ins Finale von Wimbledon einziehen würde und die Chancen dafür besser denn je standen, öffnete er dezent, aber ausdauernd die Schleusen und ertränkte zwei Tage lang die nationale Euphorie ganz elegant mit einem sanften Drizzle, der hin und wieder in einen flotten Schauer überging.

Alles wäre vollkommen in Ordnung gewesen, wenn sich der Lawn Tennis Club im Jahre 1922 entschieden hätte, von der alten Anlage an der Worple Road nicht an die Church Road umzuziehen, sondern ins nahe Brixton. Dort wäre inzwischen nicht nur das Publikum karibisch-bunt, man hätte auch das Halbfinale zwischen Tim Henman und Goran Ivanisevic am Freitagabend locker zu Ende spielen können. Während es in Wimbledon pladderte, fiel in Brixton kein Tropfen, was auch für den späten Samstagnachmittag und damit das Frauenfinale gegolten hätte, das nun gestern gespielt wurde und mit der Titelverteidigung von Venus Williams endete. Sie besiegte die Belgierin Justine Henin in drei Sätzen.

Goran Ivanisevic hätte bei Trockenheit schon am Freitag die Hoffnung begraben müssen, in sein viertes Brixton-Finale einzuziehen, dieses vermaledeite Turnier endlich zu gewinnen und als Erster mit einer Wildcard ins Feld gerutschte Spieler den Titel einzuheimsen. Erstmals in den letzten zwei Wochen hatte ihn sein gefürchteter Aufschlag im dritten Satz völlig verlassen, der Kroate wirkte plötzlich schlapp und mutlos. Da aber nicht in Brixton, sondern in Wimbledon gespielt wird, half ihm der Regen aus der Patsche, beim Kurzeinsatz am Samstag war er wieder völlig erholt, und gestern machte er im fünften Satz kurzen Prozess. Nach 32 Minuten hieß es 6:3, und der Kroate stand im Finale gegen Patrick Rafter. Sein großes Ziel, bis zum zweiten Sonntag im Turnier zu bleiben, hat er also erreicht, auch wenn das diesmal noch nicht der Tag des Endspiels war, das erst heute gespielt wird.

Auch ohne möglichen Wimbledon-Titel und trotz einer Justine Henin und eines Tim Henman ist Goran Ivanisevic die große Figur dieses Turniers. „Er hätte ruhig noch eine Woche warten können“, murrte der Brite Greg Rusedski nach seiner Achtelfinalniederlage über den rasanten Formanstieg des 29-Jährigen, den die Tenniswelt abgeschrieben hatte. Von einer Schulterverletzung geplagt, verlor der ohnehin stets für ein paar Ausraster gute Ivanisevic völlig die Fasson, reihte Erstrundenniederlage an Erstrundenniederlage, wurde in der Weltrangliste durchgereicht und schnorrte sich auf der Basis früheren Ruhms mit Wildcards durch die ATP-Tour. Tiefpunkt war das Turnier von Brighton im letzten Jahr, wo er in einem Match alle drei Schläger, die er dabei hatte, zerschlug und aus Spielgerätemangel aufgeben musste. Vergangenes Jahr in Wimbledon verlor der dreimalige Finalverlierer von 1992 (gegen Agassi), 1994, 1998 (jeweils gegen Sampras) in der 1. Runde; noch desaströser verliefen die Australian Open 2001. „Ich bin 24 Stunden geflogen, habe die erste Runde der Qualifikation vermasselt und bin wieder 24 Stunden geflogen. Das war Gottes Strafe.“

Danach erkannte Ivanisevic, der seit Ende 1999 vom ehemaligen deutschen Daviscup-Kapitän Niki Pilic betreut wird, dass er so nicht weitermachen kann und erfand die zwei Gorans, mit denen er in Wimbledon die englischen Medien so nachhaltig erfreute, dass die BBC sogar ein Filmchen drehte, in denen er den bösen und den guten Goran verkörperte. „Alle sagen, war gut, nächste Karriere vielleicht Hollywood“, kommentierte er den Auftritt mit typischem Sprachduktus. Auf jeden Fall hätten sich nach Melbourne beide Gorans zusammengesetzt und der besonnene sagte zum hitzköpfigen: „Entweder du hörst auf oder du spielst dieses Jahr für dich selbst und schaust, was du noch erreichen kannst.“ Vorher habe er immer für andere gespielt, erst für seine an Krebs erkrankte Schwester, um deren – erfolgreiche – Behandlung zu finanzieren. Dann sei der Krieg gekommen und er habe für Kroatien gespielt. „Jetzt spiele ich nur für mich, das ist einfach schön.“

Die Zusammenarbeit der beiden Gorans klappte in Wimbledon prächtig, kein Schlägerwerfen mehr, zumal er wieder nur drei Stück dabei hatte, keine Wutanfälle, dafür – zumindest bis zum Henman-Match – die geballte Zuneigung der Zuschauer, die den geläuterten Wüterich, wie jeden Wimbledon-Veteranen, in ihr Herz schlossen. Und für alle Fälle zauberte er sogar noch einen dritten Goran aus der Tasche, den für Notfälle, der eingreift, wenn die beiden anderen die Nerven verlieren. Heute gegen Pat Rafter dürfte allen dreien Schwerstarbeit bevorstehen.