Der Kanzler der Halbsätze

Das Parlament geht in die Sommerpause – und der Kanzler regiert mit seiner liebsten Keule: Interviews

BERLIN taz ■ Der Aufwand hielt sich in Grenzen: Zwei Interviews hat er absolviert und einen kurzen Auftritt auf dem SPD-Landesparteitag. Trotzdem hat Gerhard Schröder es übers Wochenende geschafft, Diskussionen vom Kindesmissbrauch bis zur Kanzlerkandidatur der Union seinen Stempel aufzudrücken. Drei Jahre nach Amtsübernahme hat der Kanzler seine Fähigkeit perfektioniert, die drittgrößte Industrienation der Welt mit Sätzen und Halbsätzen zu regieren.

Das Muster ist ewig gleich, der Fall der ermordeten Julia das jüngste Beispiel: Bei der Behandlung von Sexualstraftätern, sagte Schröder der Bild am Sonntag, „kann es nur eine Lösung geben: wegschließen – und zwar für immer!“. In einer hochkomplexen Materie passt Schröder den Moment ab, in dem die Öffentlichkeit für klare Lösungen empfänglich ist. Dann mischt sich der Kanzler ein, ob mit dem Greencard-Vorschlag zur Einwanderung oder dem Wegschließen von Triebtätern. Die folgende Erregung ist kalkuliert – und garantiert, dass Gerhard Schröder mit einem Satz mehr Wirkung erzielt als Johannes Rau mit drei Reden.

Der Beginn der Sommerpause ist als Zeitpunkt gut gewählt. Ungestört von Kabinetts-, Fraktions- und Plenarsitzungen herrscht der Bundeskanzler fortan durch das Wort allein.

Inzwischen ist sein Vertrauen in diese Methode so groß, und das Wahljahr 2002 so nah, dass er auch die Opposition damit piesackt. Ohne CSU-Chef Edmund Stoiber namentlich zu nennen, warf er ihm vor, die CDU „zum Instrument seines feigen Ehrgeizes“ zu machen. Stoiber zögere aus Feigheit, so Schröders Unterstellung, sich in der Konkurrenz mit CDU-Chefin Angela Merkel um die Kanzlerkandidatur der Union zu erklären. „So richtet man eine konservative Partei zugrunde, so wird man aber nicht Kanzler der Bundesrepublik Deutschland!“ Nicht nur die Sommerpause, auch der Wahlkampf hat begonnen.

PATRIK SCHWARZ

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