Die Guten kommen ins Töpfchen, die Schlechten zum Köpfen?

■ Die Frage, welche Ausländer wir uns in Deutschland leisten wollen, interessiert die St. Johannes Gemeinde im ostfriesischen Aurich nicht / Sie gewährt seit Jahren Kirchenasyl

„Ich kann nicht verstehen, warum Menschen in nützlich und unnütz eingeteilt werden“, sagt Brigitte Thiele. Sie ist Mitglied des Kirchenvorstandes der ostfriesischen Kirchengemeinde St. Johannes in Aurich und betreut in der Gemeinde die aktuellen „Gäste“. Das heißt die kurdische Familie Taylan in ihrem Kirchenasyl (siehe Kasten).

Im Laufe des Julis entscheidet sich, ob Semsettin Taylan in die Türkei abgeschoben wird und dann wieder im Gefängnis landet und seinen Folterern ausgeliefert wird. Bislang wurde noch niemand aus dem Auricher Kircherasyl abgeschoben – Dank der professionellen Arbeit der Unterstützergruppe aus Gemeindemitgliedern und Freunden.

„Eine Kirche, die diesen Namen verdient, kann nur eine offene Kirche sein. Eine Kirche, die Menschen ausgrenzt, ist keine Kirche mehr,“ hält der Gemeindediakon Martin Michalek kategorisch fest. Seit der Verschärfung der Asylgesetze hat sich der Kirchenvorstand der lutherischen Gemeinde intensiv auf die Möglichkeit vorbereitet, von Abschiebung bedrohten Flüchtlingen in der Gemeinde Schutz zu gewähren. Nach Seminaren mit Flüchtlingsberatern fasste der Kirchenvorstand 1994 vorsorglich den Beschluss, die Kirche für Asylanten in Not zu öffnen. 1995 wurde dann die erste kurdische Familie aufgenommen. Für nur fünf Wochen. Aber mit Erfolg: Die Familie durfte nach erneuten Verhandlungen in Deutschland bleiben.

Die Bewährungsprobe kam dann mit dem Einzug der kurdischen Familie Arkin, 1997. Drei Jahre blieb die fünfköpfige Familie in Aurich. „Wir haben sie fast rund um die Uhr betreut“, sagt Brigitte Thiele. Aber sie durften die Gemeindegebäude nie verlassen, denn in der Öffentlichkeit hätten sie jederzeit von den Behörden aufgegriffen werden können. „Der Unterstützerkreis innerhalb der Gemeinde musste praktisch den ganzen Alltag der Familie organisieren.“, so Thiele.

Zwar gewährt die Gemeinde Unterschlupf, zahlt aber keinen Pfennig dazu. Der gesamte Lebensunterhalt der Flüchtlinge wurde und wird deshalb aus Spenden bestritten. „Da ärgern sich schon mal deutsche Aussiedlerfamilien aus Russland, die meinen, unsere Asylanten würden bevorzugt behandelt“, meint Thiele. Zwar hat der Unterstützerkreis sich von 30 Mitgliedern auf heute zehn Aktive verkleinert, zwar sind die Zahlen der Gemeindemitglieder generell bei St. Johannes zurückgegangen und kürzlich wurden den jetzigen Flüchtlingen die Reifen ihres abgemeldeten Autos zerstochen. Aber das sei noch lange kein Grund die Gewährung des Asyls aufzugeben. „Alle Gemeinden verzeichnen heute Rückgänge und Jugendliche zerstören manchmal Dinge aus purer Lust“, erklärt Pfarrer Günther Selbach.

„Probleme gibt es eher im direkten Kontakt zwischen Unterstützern und Asylanten“, erklärt Brigitte Thiele. Und weiter: „Traditionelles Denken kurdischer Machos, Gängelung der Frauen und Töchter, da muss man schon mal Klartext reden.“ Auch bei PKK-Aktivisten keine einfache Situation. Martin Michalek lehnt Gewalt strikt ab. Aber: „Ich weiß, dass wir unsere kurdischen Gäste nicht erziehen dürfen. Unsere Aufgabe ist es, sie vor Willkür und Abschiebung zu schützen.“

Durch clevere Öffentlichkeitsarbeit haben es die Auricher geschafft, sogar die örtliche CDU für die Sache des Kirchenasyls zu begeistern. Trotzdem bleibt Kirchenasyl in erster Linie ein Symbol und hilft nur Einzelnen. „Ein Kriterium für die Gewährung von Asyl ist die Aussicht, dass die von uns angeschobenen neuen Verfahren Ausicht auf Erfolg haben“, so Pfarrer Selbach. Insgesamt gab es vergangenes Jahr in Deutschland 72 Fälle von Kirchenasyl. Immerhin konnten 37 von diesen erfolgreich beendet werden: Die Betroffenen wurden nicht abgeschoben. Von der Polizei gestürmt wurden im vergangenen Jahr nur zwei Kirchen: In Duisburg und dann in Bremen-Lilienthal, wo ein kurdischer Jugendlicher in den Gemeinderäumen verhaftet wurde.

Thomas Schumacher