27 zu 12 für den „Stern“

Auflage, bevor sich die Aufregung gelegt hat: Wie sich große Illustrierte beeilen, eine verstorbene Kanzlergattin im Sommerloch zu begraben – und doch wieder nur Kohl-Berichterstattung betreiben

von ARNO FRANK

„Die Frau von Altbundeskanzler Helmut Kohl, Hannelore Kohl, ist am Donnerstag tot in ihrer Ludwigshafener Wohnung aufgefunden worden. Das erfuhr die dpa zuverlässig in Mainz.“ Am 5. Juli um 12.37 Uhr gingen diese dürren Worte über den Ticker, ein Glücksfall für alle Tageszeitungen. In aller Ruhe konnte geplant, umbrochen und aktuell auf das Ereignis reagiert werden.

Prompt schickten Privatsender ihre Teams zum Oggersheimer Bunker, zeigten Kohl in Hosenträgern auf dem Flughafen, filmten betretene Polizisten und kondolierwillige Bürger – die Wunde ward gerissen und wurde ausreichend geleckt. „So geht’s Business“, sagt Franz Beckenbauer. Mit dem endgültigen Hannelore-Titel des Spiegel vom Wochenende wäre die Geschichte aber eigentlich vom Tisch. Gäbe es da nicht zwei konkurrierende „People-Magazine“, die, zur Unzeit vom Freitod der Frau Kohl überrascht, ihre Erscheinungstermine von Donnerstag auf Dienstag vorzogen.

Nachdem der Stern mit der Ankündigung vorgeprescht war, man wolle auf „aktuelle Anlässe schnell reagieren“, schoss die Bunte aus der Hüfte zurück und zog ihren Erscheinungstermin ebenfalls vor – zuletzt hatte das Burda-Blatt (Werbeslogan: „Schade, dass sie nicht dabei waren“) bei der Scheidung von Babs und Boris Becker einen solchen Schritt für notwenig erachtet.

Ihre posthume Hofberichterstattung unter dem Rubrum „Tragödie“ bestreitet die Bunte mit sattsam bekannten Propagandafotos vom Wolfgangsee, aus dem Gala-Archiv und aktuellen Paparazzi-Fotos der trauernden Familie. Paul Sahner telefonierte mit Theo Waigel („Wie kann man dem Witwer helfen?“ – „Vielleicht begleitet er Irene und mich ins König-Ludwig-Musical“) und Roberto Blanco („Deutschland hat eine sehr bedeutende Frau verloren“), Mediziner lösen das „Rätsel Lichtallergie“, und ein Foto vom Kaiserdom zu Speyer ließ sich auch noch auftreiben – insgesamt 12 Seiten medialer Trauerarbeit.

Der Stern, der zuletzt 1997 zum Tode von Lady Di früher an den Kiosken war, machte seinem Ruf als Wundertüte ausnahmsweise mal wieder alle Ehre. 27 Seiten, mit einer großzügigen Fotostrecke, bei der selbst die Bilder aus St. Gilgen bissig unterzeilt sind: Kanzler und Gattin urlaubten nur „für die bunten Blätter daheim“. Da ist auf einmal von Juliane Weber die Rede („Die andere Frau aus seinem Leben“) und von Hannelores falschem „Leben an der Seite des Politkers Helmut Kohl, das sie ein halbes Jahrhundert geschultert hat“. Und nicht um das Rätsel Lichtallergie geht es den Stern-Medizinern, sondern um Helmut Kohls „Todsünde“, die depressive Frau allein gelassen zu haben.

Bild konterte derlei rotgewirkte Anwürfe gestern mit dem Titel „Verzweifelt kämpfte Kohl für seine Frau“. Doch kaum wird die Berichterstattung politisch, rutscht sie auch schon ins Groteske: Kohl-Freund Biolek zeigte gestern Abend „aus aktuellem Anlass“ eine Sendung von 1996. Seine Gäste: Kohl-Gattin Hannelore Kohl. Und Kohl-Freund Berti Vogts.