bettina gaus über Fernsehen
: Zinsen sind was Wunderbares

Wer fühlt sich schon reich? Walther Leisler Kiep, Dagobert Duck? Auf jeden Fall meine Tochter – dank der Fernsehlotterie

Haben Sie schon einmal einen reichen Menschen kennen gelernt? Nicht wohlhabend oder gut situiert, sondern steinreich? Ich lebe mit einem solchen Menschen zusammen. Mit meiner 13-jährigen Tochter.

Genau weiß ich nicht, warum ich Nora ein Jahreslos der ARD-Fernsehlotterie zu Weihnachten geschenkt habe. Wahrscheinlich, weil ich mich plötzlich an irgendeinen Nachmittag meiner eigenen Kindheit erinnerte, an dem ich atemlos vor dem Bildschirm gesessen und auf meine Weltreise gewartet habe. Ich glaube, ich habe damals gar kein eigenes Los besessen, sondern auf die versprochene Großzügigkeit meiner Großeltern gebaut. Egal. Wir haben ohnehin nicht gewonnen.

Heute kann eine Fernsehsendung sehr erfolgreich sein, ohne dass jemand vor dem Bildschirm sitzt. Über 1,8 Milliarden Mark beträgt der Ertrag der ARD-Fernsehlotterie inzwischen insgesamt, die nach einigen Jahren der „Goldenen Eins“ seit Mai wieder „Ein Platz an der Sonne“ heißt und deren Hauptziehung niemals jemand anschaut. Jedenfalls niemand, den ich kenne. In der nächsten Sendung am 6. August wird im Rahmenprogramm ein gewisser „Hein Simon“ auftreten, älteren Zuschauern besser bekannt unter dem Namen „Heintje“. Man sieht, welche Zielgruppe die Produzenten im Blick haben.

Nora kam gar nicht erst auf die Idee, die Ziehung der Gewinnzahlen vor dem Fernseher zu verfolgen, sondern war sehr zufrieden damit, dass ich stattdessen den Service der ARD nutzte, sie mir per E-Mail schicken zu lassen. Gelegentlich fragte sie mit sanft ansteigender Aggression in der Stimme, wann sie denn nun endlich ihren Gewinn bekäme. Was mir zu erklären erlaubte, es liege im Wesen des Glücksspiels, dass der Erfolg nicht garantiert sei. Ein sehr erwünschter pädagogischer Nebeneffekt.

Bis zu jenem Montag, an dem ich meine Mails durchsah und feststellte, dass Nora ein Auto gewonnen hatte. „Das sage ich ihr erst, wenn jeder Irrtum ausgeschlossen ist.“ Noch während mir dieser überaus vernünftige Gedanke durch den Kopf schoss, brüllte ich auch schon. Dann verbrachten wir einen langen Abend. Seither verstehe ich, warum Lottomillionäre häufig psychologische Betreuung brauchen.

Es handelte sich bestimmt um einen Fehler. Die Zahlen stimmten nicht – schließlich sind die Angaben ohne Gewähr. 13-Jährige sind von Autogewinnen ausgeschlossen, sie können ja noch keinen Führerschein haben. Sie hat kein Euro-Los, sondern nur ein D-Mark-Los. Wenn überhaupt, dann bekommt sie allenfalls den halben Preis. Oder einen Kotflügel. Oder gar nichts.

Überflüssige Sorgen. Zwei Tage später folgte die Gewinnbenachrichtigung per Post, alles lief ganz unbürokratisch, und die ARD war freundlicherweise zur Barablösung des Preises bereit. Abzüglich des Händlerrabatts und einiger Gebühren standen meiner Tochter 16.590 Mark als Gegenwert des Kleinwagens zu. Und jetzt?

Armutsforscher wissen, dass Reichtum relativ ist. Inzwischen weiß ich das auch. Walther Leisler Kiep fiel erst mit einiger Verspätung auf, dass auf seinem Konto eine Million lag, die da offenbar nicht hingehörte. Hält er sich für reich? Die gewiss nicht unvermögende Queen sah sich gezwungen, Teile des Buckingham-Palastes für Besucher zu öffnen, um mit den Eintrittsgeldern die Renovierung des abgebrannten Windsor Castle zu finanzieren. Hält sie sich für reich? Ich habe keine Ahnung, aber ich kenne jemanden, der sich ohne jeden Zweifel für sehr reich hält. Nora.

Recht hat sie. Wenn sie 50 CDs kaufte und dazu die völlig überflüssige Videokamera, dann blieb immer noch sehr viel mehr Geld übrig als der vielfache Gesamtbetrag ihres Taschengeldes bis zum Abitur. Was tun? Die Verfügungsgewalt über das Geld verlangen? Lachhaft. „Geschenkt ist geschenkt.“

Mein Blick auf die Welt hat sich durch Noras Hauptgewinn verändert. Ich finde Zinsen seither etwas ganz Wunderbares. Die Erkenntnis, dass sie ihr monatliches Taschengeld bei kluger Anlage allein dadurch mehr als verdoppeln kann, veranlasste meine Tochter, den größten Teil des Geldes auf die Bank zu tragen. Vom Rest spendierte sie ihrer Klasse ein Eis, lud ihre drei besten Freundinnen zu einem Wochenendausflug in meiner Begleitung ein – „Das ist ja dann eigentlich auch für dich ein Geschenk“ – und kaufte sich, natürlich, die Videokamera.

Sie lebt in dem Bewusstsein, neben angenehmen Sachpreisen eine stattliche Leibrente gewonnen zu haben. Ich lebe in dem Bewusstsein, eine kleine Kapitalistin heranzuziehen. „Was spricht eigentlich gegen Aktien?“ Und das Jahr ist nicht vorbei. Noch immer kann sie die Monatsrente von 5.000 Mark gewinnen. Würde ich ihr das überhaupt sagen? Würde ich nicht. Würde ich doch. Was täten Sie? Nora ist in dieser Hinsicht ganz entspannt. „Du brächtest es überhaupt nicht fertig, zu schweigen.“ Spricht’s und geht ihr Geld zählen. Manchmal erinnert sie mich in diesen Tagen an Dagobert Duck.

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