Schlupflöcher für Klimaschutz

Nach dem Besuch der EU-Delegation in Japan ist klar: Wenn das Kioto-Protokoll bei der Klimakonferenz nächste Woche in Bonn nicht sterben soll, wird es verwässert

BERLIN taz ■ „Wir können den Untergang dieses Schiffes nicht hinnehmen“, sagte die EU-Umweltkommissarin Margot Wallström Montagabend in Tokio über das Kioto-Protokoll zur Begrenzung der Treibhausemissionen. Doch spätestens seit dem Besuch der EU-Delegation in Japan wissen die Europäer, dass das Kioto-Protokoll auf der Klimakonferenz in Bonn vom 16. bis 27. Juli nur zu retten ist, wenn es weitaus mehr Schlupflöcher bekommt als bisher. Ausnahmen vom Klimaschutz sollen die Industriestaaten dazu bringen, das Protokoll zu ratifizieren und umzusetzen, hoffen die Unterhändler.

„Wenn man Kioto ernst nimmt, müsste man Bonn absagen“, heißt es auch von der Bundesregierung. Denn die USA lehnen das Kioto-Protokoll ab und Australien und Japan wollen ohne die USA nichts unternehmen. Im Alleingang aber kann die EU das Klimaprotokoll nicht erfüllen, denn um das Vertragswerk in Kraft zu setzen, müssen 55 Länder mit insgesamt 55 Prozent der Klimaemissionen zustimmen. Die 55 Länder zusammenzubekommen, ist kein Problem. Doch die 55 Prozent der Emissionen erreicht man ohne Japan und die USA nicht. Und Japan will ohne den großen Bruder in Washington nichts tun, erfuhr Wallström bei ihrer Reise nach Tokio. Die japanische Umweltministerin Yoriko Kawaguchi bestätigte, für ihr Land sei „die Teilnahme der USA entscheidend“.

Doch auch Europa hat keine weiße Weste. Bis auf Großbritannien und Deutschland haben die Industriestaaten mehr und nicht weniger Klimagase in die Atmosphäre geblasen. Statt einer Reduktion von 5,2 Prozent, zu der sich die EU in Kioto verpflichtet hat, haben die Emissionen in den meisten Ländern um 10 bis 15 Prozent zugenommen. Um diese Lücke bis 2008/2012 noch zu schließen, wie es das Protokoll vorsieht, müssten die Länder sofort und massiv in ihrer Energie- und Verkehrspolitik umsteuern. Nun rächt sich die Untätigkeit der letzten Jahre, seit das Protokoll 1997 in Kioto unterzeichnet wurde. Weil sie bisher keine Emissionen verringert haben, müssten sie nun in der verbleibenden Zeit etwa 20 Prozent weniger Treibhausgase in die Luft blasen. Das aber halten Spezialisten für unwahrscheinlich.

Was bleibt, ist die Verwässerung von Kioto. So könnten den Industriestaaten ihre „Kohlendioxid-Senken“, also vor allem Wälder und Ackerbau, zugerechnet werden, wie es auch die EU schon offiziell vorgeschlagen hat. Bis zu 160 Millionen Tonnen CO2 würden so hauptsächlich rechnerisch aus der Emissionsbilanz verschwinden. Außerdem könnte die harte Haltung des Kioto-Protokolls etwa beim Emissionshandel oder bei der Finanzierung von CO2-Einsparungen in Entwicklungsländern aufgeweicht werden, heißt es von deutscher Seite.

Genau vor dieser Entwicklung hat Greenpeace gestern gewarnt. Die Anrechnung der Senken werde „die CO2-Emissionen in die Höhe treiben“, sagte Greenpeace-Sprecher Bill Hare. Würde der Handel mit Verschmutzungslizenzen nicht begrenzt, könnten sich die Industrieländer von ihren Verpflichtungen freikaufen. In Russland etwa, das seine Klimaemissionen wegen des wirtschaftlichen Zusammenbruchs massiv reduziert hat, könnten sich die Industriestaaten mit Lizenzen versorgen, ohne ihren Ausstoß zu verringern. Die Erwärmung der Atmosphäre richte bereits jetzt großen Schaden an, so Hare weiter. „Die Blockadehaltung der Industrieländer ist deshalb haarsträubend.“

BERNHARD PÖTTER