Die Schluchten sind tief, doch ...

Blickt von heute auf das ländliche Vietnam zur Zeit des Kriegs: Luu Trong Ninhs jüngster Film Das Ufer der Frauen ohne Männer läuft diese Woche im 3001  ■ Von Christiane Müller-Lobeck

„Ich glaube, dass man immer mehr kapiert, dass der Krieg nicht nur auf dem Rücken der Soldaten ausgetragen wurde, sondern auf dem der Frauen. Ihre Rolle wurde immer heruntergespielt. Und sie müssen immer noch die Stellung halten. Der krumme Rücken der Frauen – mit diesem Anblick bin ich groß geworden.“ Bisweilen erinnert Luu Trong Ninhs in Vietnam produzierter Film Das Ufer der Frauen ohne Männer an Trinh T. Min-Has Surname Viet Given Name Nam. Wie die 1970 in die USA ausgewanderte Regisseurin und Theoretikerin der Postcolonial Studies Trinh T. Min-Ha gibt Ninh vor allem den vietnamesischen Frauen eine Stimme.

Sein Film ist freilich weit weniger gebrochen als Surname Viet Given Name Nam. Anders als der inszenierte und seine Inszenierung ständig bloßlegende Dokumentarfilm der „Bindestrich-Amerikanerin“, der asian-american Trinh T. Min-Ha, erzählt der Spielfilm Das Ufer der Frauen ohne Männer das, was man gewohnt ist, eine „richtige Geschichte“ zu nennen. Am Ort der Handlung von Ninhs Films, einem kleinen Dorf im ländlichen Vietnam, gibt es außer ein paar Alten und einigen halbwüchsigen Jungs keine Männer mehr. Bis Van von der Front zurückkehrt und sich häuslich einzurichten beginnt.

Es ist ein Dorf voller Witwen, und kaum hat Van es betreten, geht es mit den Avancen schon los. Wie in Surname Viet Given Name Nam bleiben die Männer der mal ausgesprochene, mal stillschweigend mitgedachte Hintergrund des Strebens der Frauen. Später legt Ninh einer der Frauen die Worte in den Mund: „Ich will auch ein Zuhause und Kinder haben. Selbst wenn man ein schweres Leben hat und den ganzen Tag geschlagen wird.“ Mehr als in Worten ist die Stärke der Frauen, ihr täglicher Kampf, auch der gegen familiäre Despotismen, in den ruhigen und starken Bildern des Films aufgehoben.

Dem diesjährigen Länderschwerpunkt Vietnam auf der Berlinale ist es zu verdanken, dass derzeit die hiesigen Kinos mit einigen neueren Produktionen aus dem asiatischen Staat bespielt werden. Denn Filme aus Vietnam sind in Europa bislang kaum zur Kenntnis genommen worden. Auch Das Ufer der Frauen ohne Männer war zuerst auf der Berlinale zu sehen. Dass dieser sich mit den anderen dort gezeigten Filmen zu einer Reihe von Filmen fügt, die in der Zeit des Kriegs gegen die USA spielen, ist allerdings nicht einer womöglich selektiven Auswahl geschuldet. Tatsächlich ist in der jüngsten Zeit das Thema Gegenstand einer intensiveren Auseinandersetzung, einer, die sich nicht damit begnügt, die heldenhaften Seiten des Krieges und des Siegs über die imperiale Macht in den 70er-Jahren zu zeigen. Die Bedingungen, unter denen sich vietnamesische Filmemacher mit dem Krieg auseinandersetzen konnten, haben sich gerade in den letzten paar Jahren erheblich gelo-ckert. Luu Trong Ninh sprach auf der Berlinale von einer Art Perest-roika, auch wenn der Film nicht ganz so habe werden können, wie er ihn gerne gehabt hätte.

In der relativen Abgeschiedenheit des Dorfes, das Ninh in Das Ufer der Frauen ohne Männer zeichnet, ist die sozialistische Revolution kaum mehr als in Kinderspielen, als Spur, vorhanden, etwa, wenn eine Gruppe von Kindern die Steinigung einer Großgrundbesitzerin an deren Sohn zum Schein e-xerziert. Nur in der Abwesenheit der Männer oder in geisterhafter Form, wenn einer von ihnen entstellt zurückkehrt, drückt sich der Krieg hier aus. Das kämpferische Lied „Die Berge sind hoch, doch wir sind fest entschlossen. Die Schluchten sind tief, doch nichts ist tiefer als unser Hass“, gesungen bei der Feldarbeit, erscheint hier passend und unpassend zugleich.

Nach dem Ende des Kriegs 1975 halten die Alten des Dorfes – bisweilen militant – an überkommenen Sitten und Gebräuchen fest. Auch wenn es das neue Gesetz verbietet: Bekommt ein Mann mit seiner Frau keine Kinder, wird er ein zweites Mal verheiratet. Kein Gedanke, dass es womöglich er ist, den „das orangene Gift der Amerikaner“, Agent Orange, unfruchtbar gemacht hat. Ninh ist weit entfernt davon, das Alhergebrachte des ländlichen Lebens zu romantisieren. Der Gegensatz zwischen Stadt und Land habe sich gerade in den letzten Jahren in Vietnam erheblich verschärft, sagte er anlässlich der Berlinale in einem Interview. Zwei der Frauen des Dorfes in seinem Film ziehen aus der für sie unerträglichen Situation die Konsequenz: Sie flüchten förmlich in die Stadt.

In Dörfern wie diesem wird vermutlich nie jemand einen Film wie Das Ufer der Frauen ohne Männer zu sehen bekommen. Das Publikum der Städte, nun auch das der europäischen Global Cities, erinnert er nicht nur daran, was die von ihm ausgehenden Entwicklungen mit solchen Dörfern, sondern auch daran, was solche Dörfer mit den darin lebenden Menschen machen.

täglich, 20.30 Uhr, 3001