Seelenvoll an der Liebe zerbrochen, wie üblich

■ Große Gesten: St. Petersburger Ballett-Theater tanzt unter Boris Eifman „Die rote Giselle“

Anfangs muss man noch befürchten, die folgenden zwei Stunden lang einem durch und durch anachronistischen Spektakel beizuwohnen. Kichernde Ballettratten stecken da ihre schwanenhaften Köpfchen zusammen. Prinzen posieren steifbeinig in Samt und Glitter. Ein schmallippiger Ballettmeister dirigiert die Reihen mit einem Stöckchen. Nebel, Theaterglanz und Knusperhausromantik vervollständigen das Bild.

Der St. Petersburger Choreograf Boris Eifman liebt das Pathos und setzt auf große Gesten, doch versteht er es auch, die Klischees geschickt aufzurauhen. Sein Ballett Die rote Giselle verquickt im Libretto das Schicksal der russischen Primaballerina Olga Spiesiwcewa mit dem Mythos des romantischen Balletts Giselle und erzählt gleichzeitig von der Geschichte des Tanzes im 20. Jahrhundert. In der Rolle der Giselle trat die Spiesiwcewa ihren Triumphzug um die Welt an. Beide, Mythenfigur und Tänzerin, leben für den Tanz, zerbrechen an der Liebe und enden im Wahn. Ers-tere kehrt als untote Willi zurück. Die einstige Ballerina verbringt mehr als die Hälfte ihres 96-jährigen Lebens bis zu ihrem Tod 1991 in New York in einer Anstalt. Das St. Petersburger Ballett-Theater Boris Eifman, 1977 gegründet, traf bei seinem Gastspiel zu den Ballett-Tagen in der Staatsoper den Nerv des Hamburger Publikums.

Elevinnen tummeln sich im Trainingssaal. Dann schwingen die Fäuste der Revolution. Das Volk marschiert mit stampfenden Schritten. In Paris, nach Petersburg eine der Stationen der Spiesiwcewa, tanzte man damals Charleston. Und dort in den Ballettsälen erwachte der moderne Tanz.

Revue-artig schneidet Eifman die Ensembleszenen, durchsetzt von spektakulären Pas de deux, in denen sich die Paare leidenschaftlich umschlingen. Elena Kusmina in der Rolle der Ballerina beherrscht mit ihren wechselnden Partnern alle Spielarten des Tanzes. Gefühl legt Eifman da hinein, während er in den Gruppenauftritten Zeitstimmungen anzureißen versucht. Musikalisch stellt er Tschaikowskij gegen Alfred Schnittke, um schließlich bei Adolphe Adams Giselle zu landen, dem Inbegriff von romantischer Liebe und reinem Gefühl. Und da Boris Eifman es so effektvoll versteht, seine Geschichten auf großer Bühne zu erzählen, ist er auch als Jurymitglied gefragt, wenn heute Abend zum zweiten Mal der Prix Dom Pérignon vergeben wird. Marga Wolff

Prix Dom Pérignon: heute, 19 Uhr, Staatsoper