Der letzte Kampf des Olympia-Autokraten

Der scheidende IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch will Olympia in Peking und Jacques Rogge als Nachfolger

„Wenn wir rausgehen würden und Joe und Josephine auf der Straße über das IOC befragen, würde die Hälfte nicht wissen, was das ist, die andere Hälfte würde sagen, das ist doch dieser korrupte Haufen.“ Auf diese leicht boshafte Weise fasst Andrew Jennings, der renommierteste Kritiker des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), die Errungenschaften der 21 Jahre währenden Ära Samaranch zusammen. Die Würdigungen des scheidenden Präsidenten aus Funktionärs- und Sportlerkreisen klingen natürlich ganz anders. Von Franz Beckenbauer über Steffi Graf bis zu diversen IOC-Mitgliedern überbieten sich alle mit Lobeshymnen auf den ehemaligen Minister Francos.

Als Juan Antonio Samaranch 1980 in Moskau zum IOC-Präsidenten gewählt wurde, lag die olympische Bewegung am Boden. Bewerber für die Austragung der von Boykotts und Finanzdesastern heimgesuchten Olympischen Spiele waren rar. Wenn sich am Montag der 80-jährige Samaranch, wieder in Moskau, von der IOC-Spitze verabschiedet, stehen die Kandidaten Schlange, seit neuesten auch wieder in Deutschland, um sich in das potentiell ruinöse olympische Abenteuer zu stürzen, bei dem am Ende immer nur einer profitiert: das IOC.

Juan Antonio Samaranch verwandelte Olympia in ein gigantisches kommerzielles Unternehmen, sein Komitee in ein auf Vetternwirtschaft gegründetes Instrument für seine Zwecke. In Moskau kämpft er jetzt seinen letzten Kampf. Zwei Ziele gilt es noch zu erreichen: Peking zur Olympiastadt 2008 zu machen und zu verhindern, dass Kim Un Yong sein Nachfolger wird.

Kim, Exgeheimdienstler im Sold der südkoreanischen Militärs, ist Samaranch so ähnlich wie kein anderes IOC-Mitglied. Einstmals treuer Diener einer Diktatur, später versierter Beherrscher jener Kultur von Geben und Nehmen, die das IOC charakterisierte. Hätte die Wahl vor vier Jahren stattgefunden, Kim wäre der Sieg nicht zu nehmen gewesen und er hätte die vollste Unterstützung seines Freundes Samaranch gehabt. Inzwischen ist das Band jedoch zerrissen. Der alte Präsident favorisiert den 59-jährigen Belgier Jacques Rogge, während Kim seinem alten Förderer vorwirft, ihn nicht vor der Ethikkommission des IOC geschützt zu haben, die ihm im wegen seiner tiefen Verstrickung in den Skandal um die Olympiabewerbung von Salt Lake City einen schweren Verweis erteilt hatte. „Sie haben alle ein gute Geschichte, Clinton, Samaranch, meint ihr nicht“, spottete der Koreaner kürzlich bei einem USA-Besuch.

Mit bemerkenswerter Flexibilität hatte Samaranch nach dem Skandal erkannt, dass nur eine Neuorientierung den heftig angeschlagenen Ruf des IOC retten könnte und sich persönlich für den Rauswurf von zehn Mitgliedern und verschiedene Reförmchen eingesetzt. Erbarmungslos getriezt von ihrem Präsidenten, sahen sich die IOC-Mitglieder gezwungen, auf einige ihrer lukrativen Privilegien, vor allem den Besuch der Bewerberstädte, zu verzichten. Kim Un Yongs Programm ist es nun, die Uhr zurückzudrehen und die alten Zustände wieder herzustellen. Samaranch ist also in der paradoxen Position, genau das zu bekämpfen, wofür er selbst während des größten Teils seiner Amtszeit gestanden hat. Ein letztes Hurra des Olympia-Autokraten, das durchaus eine pikante Note birgt. MATTI LIESKE