Große Hoffnungen, große Proteste

Vom Staatsbesuch in Berlin erhoffte sich Syriens Staatspräsident Assad wirtschaftliche Unterstützung. Doch er traf auf empörte Kritiker und einen zugeknöpften Bundeskanzler. In der Nahost-Frage gab es keine Annäherung

BERLIN taz ■ Er wirkt ein wenig ungelenk, als er gemeinsam mit Gerhard Schröder im Hof des Kanzleramts die Ehrenformation der Bundeswehr abschreitet. Seinen Gastgeber um Haupteslänge überragend, erscheint der syrische Präsident Baschar al-Assad wie ein großer Junge, der zu früh in den dunklen Anzug und die Rolle des Staatschefs gesteckt wurde. Der 35-Jährige sucht bei seiner Visite in Berlin einen Neubeginn der Beziehungen zu Europa. Als sein verstorbener Vater Hafis 1978 nach Deutschland reiste, war die Welt noch übersichtlich zweigeteilt: Syrien bekam Milliardenhilfen aus der Sowjetunion, die Bundesrepublik war nur eines unter vielen Ländern des anderen Lagers.

Das hat sich radikal geändert. Der junge Assad ist mit großen wirtschaftspolitischen Erwartungen nach Berlin gekommen: Binnen eines Jahres ist die Bundesrepublik zu Syriens wichtigstem Handelspartner aufgestiegen. Ohne die 3,1 Milliarden Mark, die Damaskus im letzten Jahr vor allem aus Ölexporten nach Deutschland eingenommen hat, stünde Syriens Wirtschaft kurz vor dem Bankrott. 7 von 16 Millionen Syrern werden als Staatsangestellte durchgefüttert, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 60 Prozent – ein hoch explosiver Zustand in einem Land, dessen Bevölkerung zur Hälfte jünger als zwanzig Jahre ist. Ohne seinen Handel mit Deutschland wäre Syrien außer Stande, die jährlich sechs Milliarden Mark für das Militär aufzubringen. Das verdeutlicht die internationale Dimension des Nahostkonflikts.

Die Gewalt im Nahen Osten steht im Mittelpunkt von Assads Besuch. Und natürlich gibt es keinen Konsens zwischen den Gesprächspartnern. Auf der gemeinsamen Pressekonferenz fordert der Bundeskanzler eine „rasche Umsetzung des Mitchell-Plans“, um die Spannungen abzubauen. „Es wäre gut, wenn das auch die Sicht Syriens wird.“ In seiner Antwort beharrt Assad auf einer Umsetzung der UN-Resolutionen, die Israels Rückzug vom besetzten Golan fordern. Dieses eherne Prinzip der Außenpolitik seines Vaters kann der Sohn angesichts der komplizierten Machtverhältnisse zu Hause unmöglich in Frage stellen. Nichts Neues also. Bis auf die knappe Würdigung einer kürzlich erfolgten Amnestie für politische Häftlinge und die Zusage, den „Reformprozess in Syrien zu unterstützen“, beschränkt sich Schröder bei seinem Kommentar zur innenpolitischen Lage Syriens auf Mimik. Als sein Gast spricht, schaut er demonstrativ in die andere Richtung und zieht ein Gesicht, als stünde das personifizierte Böse neben ihm.

Genauso sehen Vertreter von Menschenrechtsgruppen und jüdischen Gemeinden Assad. Antisemitische Äußerungen halten sie ihm vor – und dass er dem NS-Verbrecher Alois Brunner in einem Dorf bei Damaskus Unterschlupf biete. „Der Rassismus der Israelis übertrifft den der Nazis“ – solche Ressentiments hört man in der arabischen Welt nicht selten. Wenn ein Staatschef sie in den Mund nimmt, sind sie mehr als ungeheuerlich. Der alte Assad wusste das im Gegensatz zu seinem Sohn.

160 Menschen demonstrierten am Dienstag und gestern gegen Assads Besuch. Amnesty international und Reporter ohne Grenzen prangern „hunderte“ von politischen Gefangenen in Syrien an, darunter der aus Deutschland abgeschobene Kurde Hussein Dawud und der Journalist Adil Ismail.

Beate Klarsfeld, deren Schwiegervater unter den Opfern Alois Brunners war, ist mit ihren Mitstreitern von den „Söhnen und Töchtern der deportierten Juden aus Frankreich“ von Paris angereist. „Mit unserem Protest wollen wir klar machen, dass Assad nicht in die westlichen Länder reisen kann, ohne dass man ihn an seine Äußerungen erinnert. Sein Besuch ist ein Affront für die Berliner Juden und hätte verschoben werden müssen“, sagt Klarsfeld. Sie sei „frustriert, dass nicht mehr Menschen demonstrieren“. Vor dem Hotel Adlon bejubeln 200 Anhänger Assad als „Hoffnung Arabiens“.

Die Rolle des Staatschefs ist nicht sein Wunschjob, das ist Assad in Berlin deutlich anzumerken. Gleichwohl markiert er den entschlossenen Führer, wie es die Machtkader in seiner Heimat von ihm verlangen. Die Frage eines israelischen Journalisten nach der Vergleichbarkeit von Holocaust und israelischem Vorgehen gegen die Palästinenser weist er schroff zurück. In diesem Moment schaut Schröder neben ihm noch grimmiger.

FLORIAN ALEXANDER