Erfolg ohne Extremdruck

■ Tennisvater Thorsten Kolbe legt bei der Förderung seines Sohnes Wert auf hohen Spaßfaktor.

Kurz vor vier. Gleich ist es soweit. Die nächste Trainingseinheit beginnt. Kevin Kolbe rückt die rote Kappe zurecht, packt die Schlägertasche fester und schlendert gelassen in Richtung Platz Nummer zwei auf der Anlage des TSV Kremperheide. Zwischen vier und fünfmal pro Woche, jeweils eineinhalb bis zwei Stunden trainiert das zwölfjährige Ausnahmetalent. „Ich verbringe zwar nach der Schule viel Zeit auf dem Tennisplatz, aber ich habe auch noch genug Zeit für meine Freunde“, meint Kevin. Seit drei Wochen ist er Kreismeister der Altersklasse IV in Kellinghusen und hat insgesamt nur drei Spiele verloren. Eine Bilanz, die sich sehen lassen kann. Entsprechend stolz äußert sich Vater und Trainer Thorsten Kolbe: „Ich investiere seit Ostern 2000 viel Zeit und Geld in die sportliche Ausbildung meines Sohnes.“

Doch als Vater, der den Erfolg seines Sohnes um jeden Preis erzwingen möchte, will er sich nicht verstanden wissen. Kevins Weg sei durch seine eigene Karriere vorgezeichnet gewesen, Denn „zwangsläufig fängt ein Kind mit dem Sport an, den es schon als Baby kennengelernt hat“, erklärt Kolbe.

Er selbst war Erster der Deutschen-Junioren-Rangliste bis 18 Jahre, Halbfinalist bei der Deutschen Einzel-Meisterschaft und verzeichnte viele Erfolge im Doppel, bis 1984 ein schwerer Motorad-unfall seine Karriere beendete. Bis dahin habe er sich von seinen Eltern stark unter Druck gesetzt gefühlt: „Training über alles, keine Freundin, keine Disko“, erinnert sich Vater Thorsten. Deshalb möchte er bei Kevin vieles anders machen. Von seiner Seite soll kein Erfolgszwang ausgehen: „Der Haussegen hängt nicht schief, wenn Kevin mal verliert. Ich lasse ihn auch in Ruhe, wenn er mal keine Lust auf eine Trainingseinheit hat.“

Doch die Hauptkritik gilt dem langen und qualvollen Weg durch die Strukturen des Deutschen-Tennisbundes (DTB): „Vereins-, Kreis-, Bezirks-, Landes- und eventuell ein DTB-Trainer. Zuviele Menschen, die an einem Kind herumarbeiten.“ Außerdem würde die sportliche Ausbildung innerhalb des DTB meistens viel zu kurz kommen. Aufgrund des enormen Drucks, die Förderungsmittel des Verbandes nicht zu verlieren, werden viele Talente viel zu früh von den Verbandstrainern verschlissen, schimpft Vater Kolbe. Und da er großen Wert auf eine gründliche Technikschulung legt, versuche er es „jetzt erst einmal über die private Schiene. Dabei bringe ich Kevin eine Vielzahl von Schrittkombinationen zur Unterstützung unterschiedlicher Schlagvarianten bei.“ So will er die Erfolgschancen seines Sohnes im harten Tennisgeschäft erhöhen. Natürlich sei nicht garantiert, dass dieser Weg der erfolgreichere ist, sagt Thorsten Kolbe nachdenklich, aber der Spaßfaktor sei einfach viel höher.

Die Zielsetzung für die nächsten zwei Jahre ist klar gesteckt: „Innerhalb eines Jahres soll Kevin auf dem Niveau der II. Herren spielen, mit 14 Regionalligaschläge beherrschen“, meint Vater Kolbe. Auch Kevin hält dies nicht für unrealis-tisch. Zum einen hat er mit seinem Vater einen Trainer mit hohen praktischen und theoretischen Qualifikationen, zum anderen verfügt Thomas Kolbe über gute Kontakte zu erstklassigen Spielern und Trainern wie Klaus Hofsäss, Daniel Marco oder Andre Agassi. Doch schon sein zwölfjähriger Sohn weiß, dass Kontakte alleine nicht genügen. Geld muss her und deshalb sucht das Familien-Gespann Sponsoren, die Interesse daran haben, Kevin zu fördern.

Punkt vier Uhr. Kevin packt seinen Schläger aus, zupft die Saiten zurecht und steuert zielstrebig seine Platzhälfte an. Das Einschlagen beginnt. Kraftvolle Topspin-Schläge prallen im Feld der Trainingspartnerin auf. Lange Ballwechsel, gute Beinarbeit. Geduldig wartet der Zwölfjährige auf seinen ganz speziellen Privattrainer. Nun ist es endlich soweit: Vater Kolbe betritt den Platz, die Trainingseinheit kann beginnen. Schnell rückt Kevin ein letztes mal die rote Kappe zurecht und macht sich für den nächsten Schlag bereit.

Verena Weiße