chefsache!
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von WIGLAF DROSTE

Ewald Frostig und Oswald Gifter sind wieder da. Nach ihrer ersten Veröffentlichung, „Der Majestix-Komplex. Zur Psychopathologie des Zwischenchefs“ (1999), legen die beiden Sozial- und Sprachwissenschaftler jetzt ihr neues Werk vor: „Chefsache! Geschichte und Aktualität einer hartnäckigen Wahnvorstellung“ (Springer, Berlin/Heidelberg/New York, 328 S., 58 DM).

„Auch wenn das Wort unaussprechlich scheint: Wir sind Chef-Forscher geworden“, berichten Frostig und Gifter im Einführungskapitel. „Das war zunächst ganz unbeabsichtigt, aber bei unserer interdisziplinären Arbeit begegnete uns das Wort Chefsache! wieder und wieder, und stets ist es, wenn mit autoritativem Ausrufungszeichen zwar nicht geschrieben, so doch immer gesprochen und gemeint. In der Vokabel Chefsache! zeigt sich ein stupides, trostfernes Festhalten am autoritären Mythos: Der Eine, der es kann, Der Eine, der es macht, Der Eine, der es schafft, Der Eine, der alle und alles eint – grässlich religiös, vorzivilisatorisch, atavistisch, wie dem Stammhirn der Stammheim-Erdenker und -Architekten entsprungen. Im Wort Chefsache! liegt der Appell an den autoritären Charakter, der in gar nicht so wenigen schlummert und herumlungert und ans Licht will. Chefsache! ist ein Bild-Zeitungs-Wort, und von der Bild-Zeitung zu Gerhard Schröder ist es eben kein kleiner Schritt, sondern gar keiner.“

Dem autoritären Charakter Schröder haben Frostig und Gifter fast ein ganzes Kapitel gewidmet. „Egal, wozu Schröder sich äußert – Zuwanderung, Recht auf Faulheit, Sexualstrafrecht –, er bringt das Thema auf den populären Hund. Je plumper, je anti-intelligenter er sich äußert, desto größer sein Erfolg bei den Massenmedien, und zwar ganz unabhängig vom Ergebnis. Die Erfahrung lehrt, dass Schröders ,Chefsache!‘-Gedröhne vor allem seine feste Entschlossenheit ausdrückt, eine Sache so richtig in den Sand zu setzen. Inhaltlich substanz-, halt- und erfolglos, macht Schröder auf diese Weise medial Punkte – und wird deshalb kopiert. Sein Abschiebeanthroposoph Otto Schily versucht, sich ganz ähnlich zu präsentieren, mit Helm und Schlagstock in der Hand: Ein Bild, das vor 20 Jahren noch zu Recht als Ausdruck politischer und persönlicher Verelendung bewertet worden wäre, ist heute weitgehend positiv besetzt. Je geistesschwacher eine Gesellschaft, desto größer der Gefallen, den ihre Mitglieder an autoritären Images finden.“

Frostig und Gifter erklären die Konjunktur der Methode Chefsache! auch aus einem Wechselspiel von Politik und Publizistik heraus. „In dem, was wir ,Die Neue Berliner Affirmationsschule nennen‘, zeigt sich der Hang, den Geist mit der Macht zu verbünden – in dem Sinne, dass der Geist sich zunächst selbst abschafft, um sich dann ganz problemlos an die Macht anflanschen zu können. Diese aggressive, jede, auch die eigene Restintelligenz wegbeißende Affirmation macht den Kopf zu einem ‚Ja!‘- Produkt aus dem Supermarkt. Und diese Köpfe spucken dann den Herrschaftstonfall aus, wie er in Chefsache!-Seminaren bei Mercedes Benz eingeübt wird.“