„Wir sind mehr als ein Salatblättchen“

Die Spitzenkandidatin der Berliner Grünen, Sibyll Klotz, sieht ihre Parteials Garant für eine ökologische und multikulturelle Metropole. Mitregierenwill sie aber nur, wenn SPD und PDS allein keine Mehrheit haben

„Ich stehe dafür, dass die Grünen Politik für Gesamtberlin gemacht haben, die sich nicht auf die Vertretung eines Teils reduziert hat.“

Interview ROBIN ALEXANDER
und ANDREAS SPANNBAUER

taz: Frau Klotz, müssen wir uns ernstlich Sorgen um die Berliner Grünen machen?

Sibyll Klotz: Danke, nein. Zugegeben: Wir sind in diesem Wahlkampf in einer nicht ganz einfachen Situation, weil er zwischen den beiden Polen Freiheit und Sozialismus geführt wird. Aber wir werden deutlich machen, dass die Grünen mehr sind als ein Salatblättchen in einem rot-roten Whopper. Egal zu welcher Koalition es kommt: Wir sind der scharfe Pfeffer!

Sie locken doch nicht einmal ausreichend viele Parteimitglieder für eine basisdemokratische Vollversammlung hinter dem Ofen hervor.

Am Wochenende hatten wir 35 Grad im Schatten! Und es sind 400 Leute gekommen. Ich möchte gern die Partei sehen, die uns das nachmacht. Unser 15-Prozent-Quorum ist einfach zu hoch. Wir brauchen demokratische Vornominierungsverfahren. Aber glauben Sie mir: Die Stimmung auf der Landesdelegiertenkonferenz war ganz ausgezeichnet.

Vielleicht liegt das Problem neben dem Wetter auch darin, dass nicht einmal Ihre Mitglieder wissen, wofür man die Grünen zurzeit braucht?

Nein, daran liegt es definitiv nicht. Es ist nicht zutreffend, dass man grüne Inhalte nicht braucht.

Verraten Sie uns drei Gründe, warum man in der konkreten politischen Situation die Grünen wählen sollte.

Erstens: Weil es ohne die Grünen in der Regierung keine ökologische Stadtpolitik geben wird. Weder die SPD noch die PDS sind bereit, in diesem Bereich Veränderungen einzuleiten.

Zweitens: Wir stehen seit unserer Gründung dafür, dass Berlin eine multikulturelle Metropole ist. Wir haben die Konzepte, wie man Integration in dieser Stadt verbessern und ein Verständnis dafür etablieren kann, dass es ein Vorzug für Berlin ist, eine hohe Zahl von Einwanderern zu haben. Dies ist auch wirtschaftlich notwendig. Berlin muss ein Ort der Zuflucht sein, an dem Menschen, die in Not sind, Schutz finden.

Drittens: Wir stehen für Wissenschaft und Kultur. Die Verabschiedung der Hochschulverträge ist ein Erfolg, den es ohne uns nicht gegeben hätte. Das sind nur drei Gründe, es gibt noch mehr.

Sie haben bei Ihrer Nominierung die soziale Gerechtigkeit in den Vordergrund gestellt. Mit Verlaub: Dieses Thema ist in Berlin nun wirklich schon vergeben.

Wir werden das Thema soziale Gerechtigkeit nicht der SPD und der PDS überlassen. Ökologie, Einwanderung und Bildung verbinden wir mit sozialer Gerechtigkeit und Chancengleichheit. Auch ökologische Stadtplanung ist sozial: Wir wollen in Stadtteilen wie Friedrichshain, Kreuzberg oder Neukölln, die nicht zu den besseren Wohngegenden zählen, durch mehr Grünflächen und Spielplätze die Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen verbessern, die nicht aus den besser verdienenden Familien kommen.

Ein anderes Beispiel: In einer Stadt, in der es gleichzeitig tausende von leerstehenden Wohnungen und 8.000 Obdachlose gibt, wird man wohl darüber reden dürfen, wie man beides zueinander führt.

Sie sagen, Sie verkörpern eine „Gesamtberliner Identität“. Weil Sie als ehemaliges SED-Mitglied in die westlichste aller Parteien eingetreten sind?

Ich bin im wiedervereinigten Berlin angekommen. Ich stehe dafür, dass die Grünen in der Vergangenheit eine Politik für Gesamtberlin gemacht haben, die sich nicht auf die Vertretung eines Teiles reduziert hat.

Das scheint sich im Ostteil noch nicht so richtig herumgesprochen zu haben.

Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich mir bessere Wahlergebnisse im Ostteil wünschen würde. Die 6,7 Prozent, die wir 1999 bekommen haben, sind einfach zu wenig. Wir ändern das auch durch ein personelles Angebot.

Die Gesamtberlinerin Klotz?

Ja! Meine Freundeskreis setzt sich aus Ost- und Westberlinern zusammen. Ich sehe die Probleme der ganzen Stadt und nicht nur eines Teils. Die Bevölkerung ist weiter als die Politik. Und alle ärgert, wie die CDU jetzt wieder Gräben aufreißt. Steffel tut doch so, als würden bald wieder kommunistischen Panzer in Berlin rollen! Und Gregor Gysi stellt sich hin und behauptet, der Osten würde allein aus der PDS bestehen. Das ist doch absurd!

Warum schafft es die PDS immer noch, den Osten zu vereinnahmen?

Ein Beispiel: Neulich bin ich bei einer Aktion für das Dosenpfand gefragt worden: Wie war das denn im Osten? In der Mangelwirtschaft gab es keine Dosen, weil es ein Rohstoffproblem gab. Aber es gab auch ein ziemlich gutes Pfandsystem und die Sammelstellen für „Sekundäre Rohstofferfassung“. Dahin brachten die Menschen ihre Weinflaschen, Schnapsflaschen und ihr Altpapier. Das wurde nach der Wende platt gemacht. Denken Sie nur an die Kinderbetreuung, deren Qualität reformbedürftig war, die aber gut organisiert war.

Solche positiven Erfahrungen aus der DDR sind gnadenlos beiseite geräumt worden. Das hat die Leute frustriert und sie zum Teil der PDS in die Arme getrieben.

Sollen die Grünen – wie die PDS – dauernd sagen: Es war nicht alles schlecht in der DDR?

Nicht so platt wie die PDS. Es geht darum, dass nach der Wende sehr sinnvolle, völlig unideologische Dinge beseitigt wurden. Es kann mir doch keiner erzählen, dass die sekundäre Rohstofferfassung ideologisch indoktriniert war! Es war ein Fehler von uns Grünen, dass wir nicht stärker an solche Erfahrungen angeknüpft haben.

Gregor Gysi fasziniert auch Leute, die keine DDR-Erfahrungen haben.

Es ist kein Geheimnis, dass es auch in der grünen Szene nicht wenig Leute gibt, die Gysi klasse finden. Gysi verkörpert Werte, die auch für grüne Wähler oben auf der Agenda stehen. Aber er repräsentiert nicht die PDS. Gysi ist ein virtueller Kandidat, der für den Gang in die Opposition nicht zur Verfügung steht. Das Rückfahrticket für den Bundestag hat Gysi schon gelöst.

Was meinen Sie mit virtueller Kandidat?

Ich habe noch nicht gehört, wie Gysi das 78-Milliarden-Mark Schuldenloch schultern will. Ich habe noch kein konkretes Verkehrskonzept gehört. Man kann doch nicht nur versprechen: Ich gehe in einen Kindergarten und stelle eine Wippe auf. Toll! Das bringt tolle Bilder, aber ich möchte gerne wissen, wo wir die Kohle herkriegen, um die Kindertagesstätten funktionsfähig zu halten.

Hat die PDS wirklich keine Konzepte?

Die PDS-Fraktion im Abgeordnetenhaus tritt als Partei des ökologischen Umbaus auf, während die Partei in den Bezirken Parkplätze betonieren lässt. Die PDS-Fraktion bezeichnet sich als weltoffen, während es in Hohenschönhausen einen Riesenansturm gibt, wenn eine Wagenburg von Sinti und Roma dorthin kommt.

Und mit dieser Partei wollen Sie koalieren?

Wenn man einen Neuanfang will, braucht man dafür auch neue Mehrheiten. Das haben auch viele aus dem Ostteil und aus der Bürgerrechtsbewegung mitgetragen, weil die andere Option die große Koalition ist und damit eine weitere Beteiligung der Berliner Amigo-CDU.

Die Öffentlichkeit nimmt derzeit nur den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) wahr. Woran merkt man, dass auch die Grünen an der Regierung sind?

Dem grünen Justizsenator Wolfgang Wieland kommt eine ganz entscheidende Rolle zu. Wir sind diejenigen, die mit dem Berliner Filz nichts zu tun haben. Wenn wir nicht Anfang des Jahres den Spenden- und Bankenskandal hochgezogen hätten, wäre vieles vielleicht anders verlaufen. Wieland macht deutlich, dass wir in der Lage sind, diesen Skandal aufzuklären und die Verantwortlichen unabhängig von ihrem Parteibuch zur Rechenschaft zu ziehen. Die Passage im Koalitionsvertrag, die sich mit Filz und Korruption beschäftigt, die haben wir da reingeschrieben! Und ohne unsere Wissenschaftssenatorin Adrienne Goehler gäbe es keine Hochschulverträge.

SPD-Stadtentwicklungssenator Peter Strieder erklärt, es gibt keinen Grund, bei der Verkehrspolitik irgendetwas zu ändern, nur weil die Grünen jetzt im Senat sitzen.

Daran sieht man deutlich, dass es die Grünen braucht, um eine andere Verkehrspolitik durchzusetzen . . .

. . . aber das hat ja bisher nicht geklappt . . .

. . . allein bekommt die SPD es bestimmt nicht hin. Wir wollen runter mit den BVG-Preisen, wir setzen uns für die Fahrradfahrer ein, wir wollen, dass Busse und Bahnen auch nachts durchfahren, statt um ein Uhr dichtzumachen.

Sowohl die PDS als auch die FDP machen sich Hoffnungen, den Kurs einer Regierung Wowereit nach den Neuwahlen mitbestimmen zu können. Egal, wohin es geht: Sie sind auf jeden Fall dabei?

Das entscheiden die Wählerinnen. Der PDS-Fraktionschef Harald Wolf hat gesagt, er wolle eine Mehrheit für Rot-Rot. Dafür lässt die PDS der SPD zurzeit alles durchgehen und gibt Positionen auf, die sie in der Vergangenheit vertreten hat.

Die PDS hat sich als Interessenvertretung der Bürgerinitiativen gegen den Großflughafen Schönefeld ins Parlament wählen lassen und gibt in dieser Frage nun keinen Ton mehr von sich. Sie macht sich koalitionsfähig, indem sie bestehende Konflikte nicht mehr austrägt.

Zur FDP: Wer ist die FDP in dieser Stadt?

Eine Partei, die in den Umfragen sechs Prozent hat . . .

. . . aber nicht wegen des personellen und programmatischen Angebots der FDP, sondern weil sie Leihstimmen von der CDU bekommt. Die FDP ist Günter Rexrodt. Seine Stellungnahmen sind von einer ungeheuren Inhaltsleere. Von daher kann man über eine Regierungsbeteiligung der FDP noch überhaupt nicht reden.

Wenn Sie sich gegenüber der SPD durchsetzen wollen, brauchen Sie ein Drohpotenzial.

Uns geht es um bestimmte Inhalte. Wenn wir diese nicht durchkriegen, dann sind wir nicht dabei. So einfach ist das. Wenn es eine rechnerische Mehrheit für PDS und SPD ohne uns geben sollte, dann bin ich nicht dafür, dass wir dabei sind. Aber das muss die Partei entscheiden.

Sie könnten Ihr Drohpotenzial aufstocken . . .

Schwarz-Grün in der jetzigen Situation ist eine abstruse Idee. Es gibt in der CDU durchaus Personen, die einen anderen Kurs im Kopf haben, etwa liberalere Positionen zu Homosexualität oder Ausländerpolitik. Aber die haben nichts zu melden. In der Frage der Nachfolge des CDU-Fraktionschefs Klaus Landowsky hat sich die alte Betonriege durchgesetzt. Solange das so ist, brauchen wir über Schwarz-Grün nicht zu reden.

Ihr Wahlkampf ist der Auftakt zur Bundestagswahl. Viele in der grünen Bundespartei scheinen darüber nicht besonders glücklich zu sein.

Es ist völlig klar, dass wir diese Eröffnung des Bundestagswahlkamfes nur bestehen können, wenn wir uns nicht auseinander dividieren lassen. Alle Irritationen, die es in der Vergangenheit gegeben hat, haben wir schon vergessen. Die Bundestagsfraktion und die Bundespartei werden im Wahlkampf präsent sein. Andrea Fischer und Cem Özdemir und viele andere werden auftreten.

Sie haben einen Wahlkampf mit „Regelverstößen“ angekündigt. Worauf dürfen wir uns freuen?

Das wird jetzt noch nicht verraten . . .

Bitte keine Sitzblockaden!

Was soll man denn hier blockieren? Ich hatte eher an neue Technologien gedacht. Unsere Aktionsformen werden überraschend und ungewöhnlich sein und eine Menge Aufmerksamkeit erregen.

In Ihren Wahlkampf wird die Entsendung von deutschen Truppen nach Makedonien fallen. Die PDS wird im Bundestag dagegen stimmen. Die Grünen nicht. Das wir Ihren Wählern nicht gefallen.

Ich habe gehört, dass auch die FDP ihre Zustimmung im Bundestag in Frage gestellt hat. Das wird auch bei unseren Wählern ein Thema sein. Ich gehe davon aus, dass eine solche Entsendung von Truppen breit diskutiert werden muss. Es geht darum zu entscheiden, ob es richtig ist, in einer solchen Situation, wo die Konflikte wieder zu eskalieren drohen, an einer Eingrenzung des militärischen Konflikts mitzuwirken, und ob eine Entwaffnung der UÇK möglich ist.

Was wird Ihre Position sein?

Ich möchte der Diskussion im Landesverband nicht vorgreifen.