Schlechte Karten für Staatsdiener

Neoliberalismus pur: In Argentinien sollen Einkommen und Renten der Beamten an Steuererlöse des Staates gekoppelt werden. Der Wirtschaftsminister will mit radikalen Sparmaßnahmen die Zahlungsunfähigkeit des Landes verhindern

aus Buenos Aires INGO MALCHER

Der argentinische Präsident Fernando de la Rúa hat eine Entdeckung gemacht: „Es gibt nur eine Möglichkeit, unsere Probleme zu lösen, und die ist, nicht mehr Geld auszugeben als das, was wir haben.“ Das sagte de la Rúa am Mittwochabend bei einer Pressekonferenz, er kündigte drastische Kürzungen der Staatsausgaben an.

Vor allem will de la Rúa an den Renten und Lohnzahlungen den Rotstift ansetzen. Ab sofort wird die Höhe der Renten und Gehälter für Staatsbedienstete davon abhängen, wie viel Steuereinnahmen der Staat in einem Monat gemacht hat. Floss viel Geld in die Kassen des Fiskus, wird auch viel ausbezahlt, floss nur wenig, wird auch nur wenig ausbezahlt. Die neuen Maßnamen aus der Denkfabrik des Wirtschaftsministers Domingo Cavallo zielen darauf ab, das Haushaltsdefizit in diesem Jahr auf null zu senken und das Land zahlungsunfähig zu halten. Denn Argentinien hat seine Glaubwürdigkeit an den internationalen Finanzmärkten verspielt. Das Länderrisiko stieg am Mittwoch auf die Rekordhöhe von fast 1.300 Punkten, was zur Folge hat, dass die argentinische Zinsrate 13 Prozent über der für US-Treasury-Bonds liegt.

Anfang der Woche schon musste Argentinien für einen kurzfristigen Kredit in Höhe von 850 Millionen US-Dollar astronomische Zinsraten in Höhe von 14 bis 16 Prozent bezahlen. Damit wird Argentinien von internationalen Investoren als ebenso risikoreich eingestuft wie die Türkei oder Russland. Dies hat Folgen für die gesamte Region. In Brasilien fällt der Real stetig im Vergleich zum Dollar und auch der chilenische Peso ist auf einem Rekordtief angekommen. Die Börsen in Südamerika befinden sich auf Talfahrt. Die Furcht der internationalen Anleger ist, dass Argentinien mit den Zahlungen für seine öffentlichen Schulden in Höhe von 130 Milliarden US-Dollar in Verzug kommen könnte, immerhin fast die Hälfte des Bruttoinlandprodukts.

Argentinien steckt in einem Teufelskreis, der nur schwer aufgebrochen werden kann. Seit drei Jahren befindet sich die zweitgrößte südamerikanische Ökonomie in der Rezession. Die hohe Zinsrate blockiert die Wiederbelebung der Wirtschaft und verschärft die Krise. Das führt dazu, dass die Staatseinnahmen fallen und eine Zahlungsunfähigkeit immer wahrscheinlicher wird. Dies führt wiederum zu höherem Risiko und steigenden Zinsen. Das Problem mit Cavallos neuer Idee dürfte nur sein, dass sie Argentinien weiter in der Rezessionsspirale nach unten zieht. Wenn die Kaufkraft sinkt, sinken auch die Steuereinnahmen.

Cavallos Konzepte würden nicht nur die Kaufkraft mindern, was die Wirtschaftskrise nur verschärfen dürfte. Das neue Programm ist vor allem eine Zeitbombe. Schon heute kann kein Rentner von der Mindestrente von 250 Dollar leben, da die Preise in Argentinien doppelt so hoch sind wie in Deutschland. Mit diesem Programm opfert Cavallo die Rentner und Staatsangestellten den Schuldrückzahlungen. Gewerkschaften, Opposition und soziale Organisationen dürften dies nicht stillschweigend hinnehmen.