Schröder gibt dem Kanzler Einsen

Bilanz des zurückliegenden Jahres oder: Gerhard Schröder hält Hof. Es gibt nur einen an diesem Tag, um den sich alles dreht: um ihn, den Kanzler

aus Berlin JENS KÖNIG

Gut will er sein. Gelassen. Souverän. Professionell. Mögen alle anderen nervös werden, aufgeregt durcheinander schreien, hektisch nach neuen Wegen suchen. Er ist die Ruhe selbst. Er ist allen anderen überlegen. Er ist der Kanzler. Er ist Gerhard Schröder.

In einem schwachen Moment ist man bereit, das als Synonym durchgehen zu lassen: Gerhard Schröder und Bundeskanzler. Der Niedersachse, am Anfang als bester Kanzlerdarsteller aller Zeiten verspottet, ist verblüffend schnell mit seinem Amt verwachsen. Er hat nur drei Jahre gebraucht, um die Erinnerung daran verblassen zu lassen, dass es vor langer, langer Zeit einen anderen gab, der dieses Land regierte, einen gewissen Helmut Kohl. Schröder hat, rein machttechnisch betrachtet, bereits jetzt seinen Zenit erreicht: Als Bundeskanzler ist er unangefochten. Gut. Gelassen. Souverän. Professionell.

Eine Alternative? Ist weit und breit nicht in Sicht. Herausgefordert fühlt er sich von niemandem, nicht mal von diesem Herrn aus Bayern, dessen Namen er gestern anderthalb Stunden lang nicht ein einziges Mal in den Mund nimmt. „Herausforderungen müssen von dem ausgehen, der etwas werden will“, sagt Schröder. „Ich bin’s ja.“

Ich, ich, ich – an diesem Donnerstag in der Bundespressekonferenz gibt es nur einen, der redet: der Kanzler. Und es gibt auch nur einen, um den sich alles dreht: um ihn, den Kanzler. Er hält Hof. Oder wie es offiziell heißt: Er zieht Bilanz seiner Arbeit des zurückliegenden Jahres. Schröder hat für diese Bilanz eine Formel gefunden, die er immer und immer wieder vor sich her spricht: Er betreibe „eine Politik der ruhigen Hand“. Alle anderen würden in Hektik verfallen, würden für die Beschreibung der gegenwärtigen Lage ständig das Wort „dramatisch“ in den Mund nehmen, was nichts beweise, außer dass jede Diskussion in Deutschland gleich dramatisch sei. Er hingegen würde mit ruhiger Hand weiterregieren.

Schröder wiederholt seine Formel so oft, dass man den Eindruck hat, er halte sie für das Symbol der absoluten Wahrheit. Er scheint manchmal kurz davor zu sein, sich in einen buddhistischen Priester zu verwandeln und statt des „Om“ ständig „ruhige Hand“, „ruhige Hand“ zu murmeln. Es scheint das neue Mantra der rot-grünen Regierung zu sein. Leicht gestört wird diese Harmonie allein dadurch, dass sich Schröders angeblich ruhige Hand ständig bewegt. Sie zupft am Ohr, streicht über die Nase und fliegt zur Untermauerung besonders eindrucksvoller Argumente durch die Luft.

Nur einmal gerät Schröders Vortrag leicht ins Stocken. Ein Journalist fragt ihn, ob er nicht auch finde, dass seine angeblich ruhige Hand verdächtig an das Aussitzen von Helmut Kohl erinnere. Schröder guckt etwas ungehalten, fängt sich aber. Er habe doch eben gerade erklärt, antwortet Schröder, was die rot-grüne Regierung in den zurückliegenden drei Jahren alles erreicht habe. „Das ist mir wohl misslungen.“

Das war es keineswegs. Schröder hatte eine durchaus eindrucksvolle Bilanz gezogen. Steuerreform, Rentenreform, Länderfinanzausgleich, Solidarpakt II, Atomausstieg, Energiewende, Reform des Staatsbürgerschaftsrechts, Greencard-Initiative, Zwangsarbeiterentschädigung, Homoehe. Um die Dimension dieser Veränderungen deutlich zu machen, erlaubte sich der Kanzler den Hinweis, seit wann er regiere, seit 1998 nämlich. „Das ist ja noch nicht so lange her.“ Und weil er sich dafür zu wenig gelobt fühlte, tat er es, in aller Bescheidenheit natürlich, selbst. „Lassen Sie mich das ein bisschen altdeutsch sagen“, so Schröder, „darauf sind wir stolz.“

Die Frage nach dem Aussitzen schwingt dennoch die ganze Zeit mit. Das liegt an Schröder selbst. Er kann, auch nach mehrmaligem Nachfragen, nicht mal unpräzise beschreiben, womit sich seine Regierung im letzten Jahr vor der Wahl beschäftigen will. Vorziehen der Steuerreform? Nicht bezahlbar. Senkung der Arbeitslosenversicherung, wie die Grünen fordern? Nicht bezahlbar. Andere zusätzliche Maßnahmen zur Senkung der Arbeitslosigkeit? Bloß nicht in Hektik verfallen. Konkret wird Schröder nur einmal: Er kündigt an, 2003 werde es die letzte Erhöhung der Ökosteuer geben. Was für eine Aufgabe!

Aber nicht, dass das jetzt einen falschen Eindruck ergibt. „Alle Befürchtungen, die rot-grüne Regierung lasse im nächsten Jahr nach“, so Schröder, „werden sich als falsch erweisen.“

Plötzlich bekommt Schröders Mantra einen ganz anderen Sinn. Er braucht die ruhige Hand wohl auch, um sich selbst zu beruhigen, um seine eigene Nervosität, die in drei Teufels Namen niemand bemerken darf, in den Griff zu bekommen. Plötzlich fällt auch auf, dass der Kanzler, bei aller äußeren Gelassenheit, innerlich durchaus angespannt wirkt. Mit fester Stimme und festem Blick absolviert er seinen Auftritt vor der Bundespressekonferenz, und die Furchen, die sein Gesicht durchziehen, werden auch immer tiefer.

Schröder weiß, was von ihm erwartet wird: die Senkung der Arbeitslosenzahlen, die Ankurbelung der Konjunktur, die Befriedung Makedoniens, eine Reform des Gesundheitswesens. „Lasst uns um unsere Ziele kämpfen“, sagt er an einer Stelle. Was ein Appell sein soll, klingt wie das Eingeständnis eigener Machtlosigkeit. Wenn’s nicht klappt, ist das auch nicht so schlimm, will Schröder sagen, Hauptsache, wir werden wiedergewählt. Mit ruhiger Hand.