Der Stolz der Verrückten

Bei der Schwimm-WM in Japan will die Rostockerin Peggy Büchse über alle Strecken von 800 Meter bis 10 Kilometer teilnehmen. Und möglichst schon am Montag ihre erste Medaille gewinnen

von SEBASTIAN MOLL

Eigentlich hatte Peggy Büchse die Nase voll vom Bahnschwimmen. „Stupide“ hatte sie es gefunden, den ganzen Tag in einer Schwimmhalle zu hocken und auf einen Wettkampf zu warten, der nach vier bis neun Minuten vorbei ist. Schon vor sieben Jahren hat die Rostockerin dem Bahnschwimmen deshalb Ade gesagt und sich dem gerade erst entstehenden Freiwasserschwimmen zugewendet. Am Strand von Seen und Flüssen ließen sich die Wettkampftage angenehmer verbringen, und das Verhältnis von Warten und Schwimmen sah wesentlich günstiger aus. Vor allem gefiel Peggy Büchse jedoch der Pioniergeist in der Gemeinschaft der „Verrückten“, die bis zu 25 Kilometer schwammen, besser jedenfalls als die oft von verbissener Konkurrenz geprägte Atmosphäre bei den Bahnschwimmern im Chlorbassin.

Peggy Büchse legte eine kometenhafte Karriere in den freien Gewässern hin: Europameisterin, Weltmeisterin und Weltcupsiegerin wurde sie, kaum ein Titel fehlt in ihrer Sammlung noch. Doch eines nagte trotz allen Erfolgs an ihr: „Auf der Bahn war ich bestenfalls Vierte in Deutschland und habe mich nie für einen internationalen Wettkampf qualifiziert. Da hieß es dann oft, auf der Langstrecke müsse man ja nur ankommen und die Freiwasserschwimmer, das seien alles gescheiterte Bahnschwimmer.“

Seit Mitte Mai kann das niemand mehr behaupten. Bei den Deutschen Meisterschaften in Braunschweig auf der Bahn wurde Büchse über 800 und 1.500 Meter jeweils Zweite und qualifizierte sich für die Weltmeisterschaften im japanischen Fukuoka, die am Montag beginnen. Über 1.500 Meter schwamm sie dabei gar die drittschnellste Zeit der Welt in diesem Jahr. Eine „ungeheure Genugtuung“ sei das für sie gewesen, „unheimlich Stolz“ habe sie das gemacht, ließ die 28-jährige Studentin wissen.

Dennoch möchte Peggy Büchse dem Schwimmen unter freiem Himmel in Seen und Flüssen nicht einer alten Liebe wegen untreu werden. Vielmehr will die Rostockerin in Japan als erste Schwimmerin überhaupt alle Strecken von 800 Meter auf der Bahn bis zu 10 Kilometer im Freien bestreiten. Auch auf der 25-Kilometer-Strecke hätte sie als amtierende Weltmeisterin und beste Deutsche in Japan starten können, doch die längste Schwimmdistanz liegt im Zeitplan nur einen Tag vor den 1.500 Metern: „Das wäre selbst für mich ein wenig knapp, um mich zu erholen“, sagt Büchse.

Dass sie mittlerweile sowohl die Ausdauer für die langen Wettbewerbe als auch die Schnelligkeit für die Bahn hat, glaubt die Rostockerin, verdankt sie der allgemeinen Entwicklung des Langstreckenschwimmens. Noch vor drei, vier Jahren, so Büchse, seien die Wettkämpfe eine einsame Angelegenheiten gewesen, bei der jeder mehr mit sich selbst als mit den Gegnern zu tun gehabt habe. Im Laufe der Jahre aber sei die Konkurrenz jedoch so groß geworden, dass nicht selten selbst die 25 Kilometer, bei denen die Athleten rund fünf Stunden unterwegs sind, im Sprint entschieden werden. „Das ist unheimlich taktisch geworden, ähnlich wie im Radsport“, sagt Peggy Büchse. Man belauere sich unter den Besten bis kurz vor dem Ziel – und müsse dann zum richtigen Zeitpunkt attackieren.

Um das erfolgreich tun zu können, haben sie und ihr Trainer Christian Bartsch in Rostock in den letzten Jahren mehr und mehr Übungen für die Schnelligkeit ins Training integriert. Und so kam auch die Härte für die kurzen Bahnwettbewerbe wieder: „Ich habe mich bei den deutschen Meisterschaften auf der Bahn selbst gewundert. Ich wollte das hohe Tempo einfach so lange mit schwimmen, wie ich es schaffe. Ich hätte aber nicht gedacht, dass es bis zum Schluss reicht.“ Obwohl bei den Weltmeisterschaften ihre Chancen noch immer im freien Gewässer die größeren sind, will Peggy Büchse dort weder den Bahn- noch den Naturrennen eine Priorität einräumen: „Ich nehme ein Rennen nach dem anderen. Am Besten wäre natürlich, wenn ich nach der ersten Woche schon im Freien meine Medaille hätte, dann hätte ich auf der Bahn einen immensen psychologischen Vorteil gegenüber den anderen.“

Eine robuste Psyche, glaubt Peggy Büchse, sei ohnehin ihr großes Plus im Kampf gegen die Bahnschwimmerinnen: „Wenn die mal was piekst, rennen die gleich zum Physiotherapeuten. Und wenn das Wasser ein Grad zu kalt ist, glauben die, sie könnten nicht mehr schwimmen.“ Wer wie Peggy Büchse in den Fluten der Ostsee trainiert, kann sich solche Empfindsamkeiten nicht leisten.