Oasen in der Steinwüste

Den Jardín de la Esperanza in Manhattan, den Garten der Hoffnung, gibt es nicht mehr, er musste schicken Eigentumswohnungen weichen. Doch mitten im New Yorker Immobilienboom kämpfen viele kleine, in Nachbarschaftshilfe entstandene Gemüse- und Blumengärten weiter um ihr Überleben

„Es ist eine traurige Ironie: Weil sie Gärten anlegten, verlieren sie jetzt ihr Viertel.“

von NICOLA LIEBERT

Mitten in der Steinwüste Manhattans hört man plötzlich das Gezwitscher von Vögeln. Grillduft steigt auf, ein paar alte Männer sitzen, ins Dominospiel vertieft, im Schatten der Bäume, während Kinder Verstecken spielen oder rote Tomaten pflücken. In den heruntergekommensten Stadtteilen sind solche Oasen entstanden, angepflanzt und liebevoll gepflegt von Bewohnern des jeweiligen Viertels.

Die Idylle ist nicht immer so perfekt. Im Szenestadtteil East Village kann sie auch in eine Art Belagerungszustand umschlagen, wenn wieder einmal ein Garten geräumt werden soll. Wie etwa im letzten Jahr, als plötzlich über einige Häuserblocks hinweg Parkverbotsschilder auftauchten. Die Gärtnergemeinde wusste sofort Bescheid und löste per Telefon und Internet Kettenalarm aus. Am nächsten Morgen kamen die Bulldozer. Bis Mittag hatte die Polizei die letzten Gartenfreunde, die sich an einen eigens dafür in die Erde versenkten Betonklotz gekettet hatten, in Gewahrsam genommen. Es dauerte weitere 15 Minuten, bis der 23 Jahre alte Jardín de la Esperanza, der Garten der Hoffnung, in einen Acker verwandelt war, auf dem nun schicke Eigentumswohnungen hochgezogen werden.

Gärten oder Wohnraum, sagt die New Yorker Stadtverwaltung. „Wenn man in einer Traumwelt lebt, kann man sagen, die ganze Stadt sollte aus Gärten bestehen“, sagt Bürgermeister Rudy Giuliani. „Aber wo sollten dann die Leute wohnen, woher sollten sie erschwingliche Wohnungen bekommen?“ Für bezahlbaren Wohnraum hätte José Torres, dessen Mutter Alicia den Esperanza-Garten 1977 gegründet hat, ja vielleicht den Garten freiwillig geopfert. Aber selbst um sich für eine der neuen, subventionierten Wohnungen zu qualifizieren, muss man ein Jahreseinkommen von mindestens 43.500 Dollar nachweisen – mehr als doppelt so viel, wie ein durchschnittlicher Haushalt im East Village zur Verfügung hat. Für Torres, der mit seinen Freunden jetzt seine Freizeit auf dem Bürgersteig herumhängend verbringt, ist klar, dass es Giuliani darauf anlegt, die ärmeren Bevölkerungsgruppen, vor allem die Einwanderer aus Puerto Rico und der Dominikanischen Republik, zu vertreiben.

Für Chino García, Direktor des puerto-ricanischen Kulturzentrums Charas, ist es kein Zufall, dass gerade die Blocks mit den Gärten so attraktiv für Investoren sind. Wo Gärten sind, da ist die Nachbarschaft meist intakt, die Kriminalität niedriger. „Das war die Bronx hier“, beschreibt er das East Village der 70er-Jahre, „eine total ausgebombte Gegend.“ Damals sagte man auch noch Lower East Side, nicht East Village – der Begriff wurde erst später von Immobilienfirmen entwickelt, die die Wohnlage in Anspielung auf das berühmte Greenwich Village interessanter erscheinen lassen wollten. Viele Vermieter wollten die Grundsteuern nicht mehr zahlen, weil die zu erzielenden Mieten kaum die Kosten deckten. Bestenfalls verschwanden sie einfach und überließen die Häuser der Stadt, die diese dann verkommen ließ. Mitunter aber ließen Hausbesitzer die Gebäude abfackeln in der Hoffnung, wenigstens die Versicherungssumme zu kassieren.

Die Ruinengrundstücke boten Junkies Unterkunft. „Die Einzigen, die hier Arbeit hatten, so schien es, waren die Drogenhändler“, erzählt García weiter. Bis die Stadt die ganze Gegend platt machen und neu bauen wollte. Polizei und Müllabfuhr kamen, wenn überhaupt, nur noch sporadisch. Und der einzige Park im East Village, Tompkins Square Park, entwickelte sich zu einem Obdachlosenasyl unter offenem Himmel.

In dieser Situation griffen die Bewohner zur Selbsthilfe. Sie besetzten die Häuser, sanierten sie in Eigenarbeit und nahmen sich der leeren Grundstücke an. So jemand war Alicia Torres. Als das Haus nebenan abbrannte, organisierte die Immigrantin aus Puerto Rico die Mieter ihres Hauses. Sie behielten die Miete ein und bezahlten damit notwendige Reparaturen. Schließlich erhielten sie das Haus gegen eine geringe Zahlung unter der Auflage, es selbst wieder instand zu setzen. 1977 fingen Torres’ Nachbarn an, das Grundstück nebenan frei zu räumen. Bald entstanden Blumen- und Gemüsebeete und eine Casita, ein Holzhäuschen.

Bei einem Spaziergang durch das East Village lässt sich auf Anhieb erkennen, welche Gärten Einwanderer aus Südamerika angelegt haben und welche angelsächsischen Ursprungs sind. Letztere sind kleine Parks, auf den Beeten vorwiegend exotische Büsche und Blumen wachsen. In den puerto-ricanischen Gärten dagegen werden in erster Linie Nutzpflanzen angebaut, auf den Terrassen stehen Heiligenfiguren, und es gibt immer eine Casita.

„Unsere Casita ist so, wie die Häuser auf dem Land in Puerto Rico früher waren“, erklärt José Valentín, ein Gärtner ein paar Blocks weiter. Er weist auf die vielen Fotos, die die Wand des Häuschens schmücken und die Zeugnis von zahlreichen Festen ablegen. Valentín war fünf, als er von seinem Vater, der Kleinbauer in der Heimat war, das Gärtnern lernte. Er pflanzt hier Mais, Tomaten und vor allem hierba buena, das „gute Kraut“, zu Deutsch Minze.

Noch gibt es rund 650 Community Gardens in New York, etwa 50 davon in Lower East Side und East Village. Aber viele Gärten sind schon verschwunden. Wenn man in East Village adrette neue Wohnhäuser mit Balkonen und grünen Markisen und zum Teil privaten, ummauerten Höfen sieht, steht man meistens vor einem ehemaligen Garten. East Village hat sich zur begehrtesten Wohngegend entwickelt für all die, die in sein wollen. Unter 2.500 Mark Monatsmiete ist hier nicht das finsterste Loch zu finden. Die spanischen Werbetafeln, die die Einwanderergegend noch vor wenigen Jahren dominierten, sind verschwunden. Kleine Lebensmittelläden und Nachbarschaftsclubs wurden schon durch teure Restaurants und schicke Bars ersetzt.

„Wir sorgten uns manchmal, dass wir unser Viertel zu schön machen mit den Gärten“, meint Chino García, der von Anfang an in der Gartenbewegung aktiv war. „Die Gärtner haben die Gegend wieder lebenswert gemacht. Es ist schon eine traurige Ironie: Weil sie ihr Viertel verbesserten, verlieren sie es.“

Ein Lichtblick bleibt. Als die Stadt vor zwei Jahren in einer gewaltigen Baugrundauktion 113 Gärten in ganz New York versteigern wollte, da tauchten unverhofft Retter auf. Die Schauspielerin Bette Midler und eine kalifornische Umweltorganisation, der Trust for Public Land, schnappten den Investoren alle zum Verkauf stehenden Gärten einfach so vor der Nase weg. Zumindest einige der grünen Oasen werden also überleben.